Interview, Kunst

Didier Claes: „Die Zeit der verstaubten Galerien ist definitiv vorbei“

Didier Claes ist einer der bedeutendsten Händler für alte afrikanische Kunst und für seine auffälligen Inszenierungen bekannt. Im Interview spricht der Belgier über seine vermögende Kundschaft, gefälschte Werke, Preisentwicklungen und wie wichtig die eigene Außendarstellung ist.

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Monsieur Claes, Wann haben Sie beschlossen, Händler zu werden? Schon als Kind?
Kunstgalerist ist in der Regel ein Beruf aus Leidenschaft, den man schon sehr früh für sich entdeckt. Es ist nicht etwas, das einfach passiert. Bei mir hat es einen familiären Hintergrund. Mein Vater arbeitete für das Nationalmuseum im Kongo. Ich bin dort aufgewachsen und begleitete ihn auf der Suche nach Kunstwerken, die er an das Museum verkaufte.

Ist es sehr schwierig, außergewöhnliche Stücke zu finden?
Das Aufspüren von Kunstwerken ist das schwierigste an meinem Beruf, denn Afrika ist seit 40 Jahren leer. Es gibt mit Ausnahmen im Bereich der Archäologie kaum noch Möglichkeiten, Kunstobjekte zu finden, zumindest keine von Qualität. Ich sage nicht, dass es unmöglich ist, aber es ist so, als ob man ein Bild auf dem Dachboden findet. Die geringe Zahl ist nicht ausreichend, um damit ein Geschäft zu betreiben. Ich kaufe daher viel aus Sammlungen, manchmal auch aus den alten Beständen von Familien, die Objekte im Rahmen ihrer Berufstätigkeit aus Afrika selbst mitgebracht haben.

Wie viel muss man für die schönsten Werke ausgeben?
Es kommt darauf an. Kleine Alltagsgegenstände sind schon für ein paar Tausend Euro zu haben. Spitzenwerke kosten mehrere Millionen Euro.

Didier Claes mit mehreren Kota-Reliquiarfiguren im Museum Van Buuren.
Didier Claes mit mehreren Kota-Reliquiarfiguren im Museum Van Buuren.

Was bevorzugen die Kunden, Skulpturen oder zum Beispiel Masken?
Einige Stücke sind natürlich erfolgreicher als andere. So ist heute beispielsweise alles erfolgreich, das an moderne Kunst wie von Picasso erinnert. Für eine Modigliani-Ausstellung in Lille 2016 habe ich eine Maske ausgeliehen, die Modigliani gehörte. Wenn man weiß, dass all diese Künstler jener Zeit von afrikanischer Kunst inspiriert wurden, dann fügt man als Sammler moderner Kunst natürlich auch ein bisschen Geschichte hinzu, wenn man solche Stücke sammelt.

Die wohlhabende Kundschaft von Didier Claes

Wer sind Ihre Kunden, die bereit sind, hunderttausende Euro für afrikanische Kunst auszugeben?
Die Ästhetik afrikanischer Kunst ist nicht für jeden zugänglich. Sie ist schwierig einzuschätzen, weil die Kunden oft nicht die Referenzen wie in der Malerei haben, wo es all diese Bezüge nach Epochen und Perioden gibt. Die afrikanische Kunst erfordert mehr Wissen. Auf jeden Fall mehr Interesse und mehr Zeit, um Expertise zu entwickeln. Die meisten meiner neuen Kunden haben bereits Erfahrung mit einem anderen Sammelgebiet, z.B. zeitgenössischer Kunst. Zusätzlich finden Sie auch Gefallen an afrikanischer Kunst. Früher gab es Sammler, die ausschließlich afrikanische Kunst sammelten, fast wie Briefmarkensammler. Vollkommen verschwunden sind seit 15 Jahren die deutschen Sammler. Früher waren Bernd Mullack, Schmidt Luprian große Namen, aber jetzt sind viele tot.

Gäste von Didier Claes auf der Kunstmesse Brafa 2020.
Gäste von Didier Claes auf der Kunstmesse Brafa 2020.

Sind Ihre Kunden so jung wie Sie?
Tatsächlich gibt es nun mehr junge Sammler. Man muss aber auch die finanziellen Mittel haben, um eine Sammlung aufzubauen. So kommen einige meiner Kunden zum Beispiel aus der Finanzwelt.

Vor allem Männer sammeln afrikanische Kunst. Warum ist das so?
Das ist richtig. Und es ist eine gute Frage. Ich kann mir auch nicht erklären warum, aber ich finde es schade. Jedoch gibt es immer mehr Paare, bei denen sich sowohl der Mann als auch die Frau dafür interessieren. Wenn es beiden gefällt, ist das für mich als Händler die perfekte Kombination. Denn die Frauen segnen am Ende die Einkäufe des Mannes ab. Es gab Pionierinnen wie Héléna Rubinstein, die in den 30er bis 50er Jahren zu den größten Sammlern afrikanischer Kunst zählten.

Kunstkäufer kommen zunehmend auch aus Katar und den Emiraten. Haben Sie auch vermehrt Kunden aus den arabischen Ländern?
Araber sind im Allgemeinen nicht wirklich Sammler gegenständlicher afrikanischer Kunst, da ihre Religion jegliches Abbild Gottes verbietet. Es ist also schon auf dieser Ebene kompliziert. Ein Gegenbeispiel ist einer der größten Sammler afrikanischer Kunst weltweit, Scheich Saud Al-Thani. Auch Prinz Aga Khan zählt dazu. Diese waren sehr starke Persönlichkeiten mit hoher Sichtbarkeit.

Die Autorin Claudia Scholz führte das Interview mit Didier Claes in Brüssel.

Der Louvre in Abu Dhabi will afrikanischer Kunst sammeln wie der Original-Louvre in Paris. Haben Sie auch an den Scheich verkauft?
Ich persönlich habe nichts verkauft, aber offensichtlich haben sie eine Menge afrikanische Kunst erworben. Ich möchte offen zu Ihnen sein. Ich bin nicht sehr erpicht darauf, an Museen zu verkaufen. Ich ziehe Sammler vor, denn diese sind für mich wie meine Bank, an die ich verkaufe, und von denen ich Stücke auch zurückbekommen kann. Denn ein Objekt, das an ein Museum verkauft wurde, wird dem Markt für immer entzogen.

Die Entwicklung des Kunstmarktes

Die Preise für Meisterwerke der afrikanischen Kunst sind in den letzten zehn Jahren stark gestiegen.
Der gesamte Kunstmarkt hat sich stark entwickelt. Die afrikanische Kunst bekommt nun endlich ihren Platz, den sie verdient.

Aber werden je Preisen wie bei der modernen Kunst erzielt?
Nur für Meisterwerke. Aber wir sind immer noch weit von den Preisen für moderne Kunst entfernt. Um ein Beispiel zu nennen: Ein Picasso oder Gauguin kostet 200 bis 300 Millionen Euro. Für ein absolutes Meisterwerk der afrikanischen Kunst werden 30 Millionen Euro verlangt. Lediglich gute Werke kosten 20 bis 30.000 Euro. Das ist nichts in der zeitgenössischen Kunst, wo selbst junge Künstler unglaubliche Preise erzielen.

Didier Claes' Galerie im Ixelles-Viertel von Brüssel.
Didier Claes‘ Galerie im Ixelles-Viertel von Brüssel.

Vor zwei Jahren haben Sie Ihre Galerie am Sablon verlassen und sind ins Galerienviertel von Ixelles gezogen. Warum?
Ich bin seit 15 Jahren am Sablon, und ich bin jemand, der sich neu erfinden will. Ich denke, dass wir uns in der heutigen Geschäftswelt ständig neu erfinden müssen. Wenn wir stagnieren, dann verpassen wir eine Menge, während sich die Welt mit rasanter Geschwindigkeit weiterdreht. Der Sablon begann mich ein wenig zu langweilen, obwohl er immer noch der Hauptort in Brüssel für afrikanische Kunst ist.

Sind die Galerien am Sablon zu traditionell?
Die Galerien am Sablon sind sehr traditionell, wie eine Art alter Bergmann, Erneuerung fand wenig statt. Und es stimmt, dass ich durch die Annäherung an das Viertel für zeitgenössische Kunst in die Nachbarschaft zu den großen zeitgenössischen Galerien wie Reich, Tavi, Weekend sein möchte. Die Energie dort ist anders, es ist dynamischer und folgt mehr dem Zeitgast.

Moderne und zeitgenössische Kunst als Türöffner

Ihre Galerie liegt direkt neben der von Almine Rech, der Frau eines Enkels von Picasso.
Das war Zufall. Es ist schwer in dem Viertel Räume zu finden. Und gleichzeitig war es kein Zufall. Ich habe es gesehen und es passte perfekt. Sie verbinden in Ihrer Galerie klassische mit zeitgenössischer afrikanischer Kunst. Das tue ich oft. Ich arbeite mit anderen Galerien zusammen, die zeitgenössische Künstler präsentieren. Die Kombination erzeugt Aufmerksamkeit. Und oft sagen die Leute: „Oh, das passt gut zusammen.“ Moderne Kunst kann auch ein Türöffner sein, um Kunden auf den Messestand oder in die Galerie zu bekommen.

Der Galeriegründer Didier Claes zwischen einer Maske der Pende aus dem Kongo und dem unbetitelten Gemälde von Armand Boua.
Der Galeriegründer Didier Claes zwischen einer Maske der Pende aus dem Kongo und dem unbetitelten Gemälde von Armand Boua.

Schaffen Sie durch die Kombination, die Preise von afrikanischer Kunst zu erhöhen und neue Kunden zu gewinnen?
Die Zeit der verstaubten Galerien und Antiquitätenhändler ist definitiv vorbei. Meine Kunden sind Menschen, die hart arbeiten und viel Geld verdienen. Sie wollen nicht suchen, sondern finden. Früher wollten die Sammler selbst entdecken, Lager und Galerien durchforsten. Heute müssen wir eine kleine exquisite Auswahl treffen, sie modern präsentieren und den Menschen zeigen, was schön ist.

Sie haben auch beschlossen, zeitgenössische afrikanische Kunstwerke zu verkaufen. Hat sich Ihr Interesse verschoben?
Zunächst einmal, weil ich ein Liebhaber der zeitgenössischen Kunst bin. Ich möchte aber nicht andere Händler ersetzen.

Ist es einfacher, qualitativ hochwertige Werke zu finden?
Ja, aber es ist nicht so einfach, wie Sie vielleicht denken. Antiquitätenhändler sind der Meinung, dass zeitgenössische Kunst einfach zu handeln ist. Tatsächlich ist es gar nicht so einfach. Es ist schwierig, Künstler zu finden, gute Künstler, die sich entwickeln können.

Warum kaufen Afrikaner lieber zeitgenössische als alte afrikanische Kunst?
Man muss den Zugang haben. Es gibt jedoch fast keine Galerien in Afrika, keine Ausstellungen. Es gibt nicht viele Museen wie hier. Sammler kaufen auch ein Stück weit die Sympathie und die Persönlichkeit des Händlers mit. Wir Händler erschaffen die Sammler, aber solange es keine großen afrikanischen Händler gibt, können dort keine Sammler entstehen. Ich versuche, afrikanische Sammler zu gewinnen, aber es ist sehr kompliziert. Es braucht Zeit und Vertrauen. Und es kommt noch ein spirituelles Problem hinzu: Viele
Afrikaner glauben noch immer, dass den Objekten ein Geist innewohnt. Deshalb fällt es ihnen schwer, sie zu sammeln.

Von seinem Vater hat Didier Claes das Wissen über afrikanische Kunst: Patrick Claes mit einem Hocker der Hemba aus dem Kongo.
Von seinem Vater hat Didier Claes das Wissen über afrikanische Kunst: Patrick Claes mit einem Hocker der Hemba aus dem Kongo.

Zu Ihren bekanntesten Kunden aus Afrika gehörte Sindika Dokolo. Er und seine Frau, die Ex-Präsidenten-Tochter Isabel dos Santos, waren in einen Korruptionsskandal verwickelt. Bereuen Sie im Nachhinein die Geschäftsbeziehung?
Sindika Dokolo, der wie ich kongolesischer Herkunft ist, war jemand, der die Kunst liebte, die zeitgenössische Kunst, die afrikanische Kunst und der viel bewegt hat. Doch in der Geschäftswelt ist es immer schwierig, den Leuten hinter die Brieftasche zu schauen. Alle Signale waren auf grün. Sotheby’s, Christie’s – alle haben an ihn verkauft und von ihm gekauft. Er stellte seine Werke überall aus. Er war Ehrenbürger der Stadt Porto. Wenn sie allerdings Geld veruntreut haben, müssen sie sich vor der Justiz ihres Landes verantworten. Ich kann Menschen nicht ausstehen, die eine Politik betreiben, die ihr Land und die Menschen ausplündert.

Das Problem mit Kunstfälschungen in der afrikanischen Kunst

Machen sich die Kunden zunehmend Sorgen über gefälschte Kunst? Ist das ein großes Problem bei Tribal Art?
Überall, wo Kunst und Geld zusammenkommen, gibt es Probleme mit Fälschungen. Was die afrikanische Kunst betrifft, so sind viele Leute etwas naiv. Sie denken, sie können nach Afrika gehen und von dort Kunst mitbringen. Und dann kommen sie nach Hause und stellen fest, dass es falsch ist.

Es fehlt die Expertise?
Ich mache seit 20 Jahren Beurteilungen für Auktionshäuser. Jedes Mal, wenn ich gefälschte Objekte begutachtet habe, kamen sie von Menschen, die selbst in Afrika gekauft haben, auf der Straße oder Märkten. im Ernst: wenn ich ein Bild oder ein Möbelstück kaufen will, kaufe ich es in einer seriösen Galerie. Ich werde doch kein Gemälde zeitgenössischer Kunst auf einem Markt kaufen.

Didier Claes mit einem hölzernen Antilopentanzaufsatz der Bambara.
Didier Claes mit einem hölzernen Antilopentanzaufsatz der Bambara.

In den Galerien finden Sie ab und zu auch gefälschte Objekte.
Es gibt also offensichtlich weniger seriöse Galerien. Wenn Sie in einer Galerie kaufen, müssen Sie unbedingt um ein Echtheitszertifikat, ein von der Galerie unterzeichnetes Alterszertifikat bitten und um eine Rechnung. So können Sie sich, wenn es ein Problem gibt, gegen die Galerie wenden.

Haben Sie jemals einen gefälschten Artikel gekauft?
Ich gebe zu, dass dies sehr selten vorkam, denn anfangs konnte ich es mir nicht leisten, mich zu irren. Wenn Sie sich keinen Fehler leisten können, machen Sie keinen Fehler. Wenn es doch einmal passiert, tut es weh. Das Problem ist aber weniger, dass Sammler eine Fälschung erwerben, sondern dass sie zu viel bezahlen.

Wonach sich der Preis eines afrikanischen Kunstwerkes bemisst

Bestimmt sich der Preis für afrikanische Kunst mehr über die Ästhetik oder Herkunft?
Im Jahr 1910 gab es zwei Bücher über afrikanische Kunst. Heute haben wir Tausende und Abertausende. Es gibt eine Ikonographie, die uns erlaubt zu sagen: „Von diesem Werktypus sind 10 bekannt. Dies ist die schönste, die am wenigsten schöne oder die wichtigste oder die älteste. Es wurde bereits mehrfach erwähnt, veröffentlicht und nachgewiesen.“ Wir haben auch Referenzen im Bereich der öffentlichen Verkäufe. Es gibt Hinweise auf dieses und jenes Objekt zu diesem und jenem Preis. Manche Kunstwerke werden zu teuer auf Auktionen verkauft, und wir wissen nicht, warum. Für mich gilt bei Meisterwerken immer, dass der wahre Preis derjenige ist, den jemand bereit ist zu zahlen.

Nagelfetisch aus dem Kongo: Auf der Brafa 2020 wurde das Kultobjekt vom Ende des 19. Jahrhunderts von Didier Claes für 110 000 Euro angeboten.

Nagelfetisch aus dem Kongo: Auf der Brafa 2020 wurde das Kultobjekt vom Ende des 19. Jahrhunderts von Didier Claes für 110 000 Euro angeboten. Foto: Galerie Didier Claes

Viele Verkäufe finden über Auktionshäuser statt. Bedroht das zunehmend Ihr Geschäft?
Nein, ich glaube, wir haben unsere Stärken. Wir Händler haben einen Draht zu den Sammlern, und wissen, wo sich etwas befindet. Ich verteidige den öffentlichen Verkauf, anders als viele meiner Kollegen. Wir brauchen ihn, weil er das Barometer der Kunst ist.

In der Galerieszene gibt es nicht viele Menschen mit afrikanischen Wurzeln wie Sie.
Das ist wahr, es ist ziemlich selten.

Sehen Sie sich immer noch mit Vorbehalten konfrontiert? Fühlen Sie sich als Exot?
Früher hatte ich mit vielen Ressentiments zu kämpfen. Aber heute ist es anders, weil ich in der Branche bekannt bin. Meine Herkunft ist auch meine Stärke. Ich bin jemand, der es vorzieht, beneidet zu werden, als neidisch zu sein.

Haben Sie mehr Feinde oder Freunde?
Das ist eine gute Frage. Auf jeden Fall habe ich nur Freunde, aber vielleicht bin ich für andere deren Feind.

Gäste auf einer Vernissage von Didier Claes in Brüssel.
Gäste auf einer Vernissage von Didier Claes. Foto: Galerie Didier Claes

In der Galeristenszene in Brüssel gibt es auch Konfrontationen, wie man hört. Neiden Ihnen manche den Posten bei der Brafa oder Ihre hohen Preise?
Viele schieben die Schuld auf andere. Aber ich bin nicht für die Niederlagen von anderen verantwortlich. Ich arbeite viel mehr als die anderen. Aber Sie haben völlig Recht. Es ist ein Geldgeschäft und da gibt es Neid.

Die Zukunft der Brüsseler Kunstmesse Bruneaf

Sie wurden vor zehn Jahren Präsident der Bruneaf, einer Messe für Tribal Art. Diese verliert jedoch stetig an Ausstellern und Besuchern.
Brüssel ist heute ein bisschen schwierig. Ich muss zugeben, dass es nicht leicht ist, diese Veranstaltung fortzusetzen und neben starken Städten wie Paris weiter bestehen zu können. Viele sind enttäuscht, aber wir existieren weiter. Wenn manche Freunde, die Mitglied der Brueaf sind und auf der Kunstmesse Brafa ausstellen wollen, aber keine guten Händler sind, dann lehne ich ab. Und wenn mich Leute fragen, die mich nicht mögen, aber gute Händler sind, lasse ich sie herein und beurteile nur die Objekte, nicht die Menschen. Ich verurteile niemals Menschen. Ich beurteile ihre Arbeit, ihre Objekte und die Art und Weise, wie sie arbeiten.

Wollen Sie Präsident der Brafa werden?
Das ist lustig, diese Frage wurde mir bereits gestellt. Ich habe heute Morgen mehr darüber nachgedacht. Ich denke nicht, weil ich glaube, dass ich anderswo gebraucht werde. Aber wir sind in zehn Jahren von 45.000 auf 80.000 Besucher gestiegen. Wir haben wirklich gute Arbeit geleistet. Es ist wichtig, dass Afrika auf den großen Messen vertreten ist.

Sie präsentieren sich gern in eleganten Anzügen oder auffälliger Kleidung, in den Brüsseler Kneipen werden sie immer mit vielen hübschen Leuten gesehen. Sie gehen gerne aus und feiern.
Das ist richtig. Ich mag Menschen und bin gern umgeben von ihnen. Ich bin jemand, der all die schönen Dinge des Lebens liebt. Ich liebe alle Formen der Kunst. Vielleicht ist das meine afrikanische Seite, aber ich mag sie.

DC-1: Der Wagen von Didier Claes mit auffälligem Kennzeichen.
DC-1: Der Wagen von Didier Claes mit auffälligem Kennzeichen

Soziale Medien wie Instagram sind bestimmt auch für Galeristen wie Sie heute wichtig?
Das ist ein unglaubliches Kommunikationsmittel. Aber ich möchte trotzdem, dass die Menschen noch weiterhin in die Galerien gehen. Wir werden auch wieder zu den Grundlagen zurückkehren. Und was sind die Grundlagen? Das ist der menschliche Kontakt. Wichtiger kann es nicht werden. Das ist sicher. Ich vertraue nie nur Fotos, aber es kann mir helfen, eine Community aufzubauen.

Im Allgemeinen denken Sie, dass der alte afrikanische Markt nicht im Niedergang begriffen ist?
Nein, das glaube ich nicht. Aber wir müssen wirklich vorsichtig sein. Es ist gerade eine angespannte Zeit nach den Restitutionsdebatten. Einige Kunden wollen kaufen, zögern aber, weil die afrikanische Kunst gerade ein schwieriges Image hat. Dabei ist es etwas Schönes und wir sollten aufpassen, dass es keine Flecken bekommt. Es darf nicht zu etwas werden, das politisch unkorrekt ist.

Monsieur Claes, vielen Dank für das Interview.

Didier Claes beim Galerienrundgang auf der Bruneaf 2020.

Didier Claes beim Galerienrundgang auf der Bruneaf 2020

Vita Didier Claes:

Als Sohn eines belgischen Vaters und einer kongolesischen Mutter wurde Didier Claes im Kongo geboren. Sein Vater war Wissenschaftler und Einkäufer für das Nationalmuseum in der Hauptstadt Kinshasa. So begleitete der junge Claes den Senior durch die Dörfer, um exquisite Stücke für die Museumssammlung zu finden und zu kaufen. Objekte, die das Museum nicht erwerben wollte, hat der Vater anderen Händlern vermittelt. Mit 17 Jahren verließ Claes den Kongo. Nach Stationen in Paris und New York eröffnete er 2002 im Alter von nur 25 Jahren eine eigene Galerie im Brüsseler Kunsthändlerviertel Sablon.

Als jüngerer Händler für alte Kunst möchte Didier Claes Menschen in seinem Alter zu Sammlern von morgen heranziehen. Der 43-jährige Belgier ist auf den großen Messen präsent wie der Tefaf in Maastricht oder in New York. Mittlerweile ist er nicht nur Vizepräsident der Brafa, sondern auch seit 2014 Präsident der Bruneaf, der traditionsreichen Messe für außereuropäische Kunst in Brüssel. Sehr selbstbewusst sieht er es als sein Verdienst an, dass sich Brüssel neben Paris St. Germain als Marktplatz für die klassische afrikanische Kunst in den letzten zehn Jahren behaupten konnte.

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Kunst

Auf Stöckelschuhen durch Islamabad

Nigar Nazar ist die erste Comiczeichnerin Pakistans. Mit „Gogi“ hat sie eine Comic-Heldin geschaffen, die sich für die Bildung von Frauen einsetzt. Heute Abend werden in Potsdam ihre Zeichnungen gezeigt.

Gogi ist jung, hübsch, hat lange Wimpern, trägt einen modischen Kurzhaarschnitt und mit Vorliebe auffallend bunte, gepunktete Kleider. Mit Kopftuch ist sie nie zu sehen, dafür aber mit Ohrringen und Stöckel-Schuhen. Seit sie 1971 das erste Mal auf Papier auftauchte, ist Gogi die Comic-Heldin der Zeichnerin Nigar Nazar. Mit Witz und Charme kämpft sich Gogi durch den pakistanischen Alltag, der es bildungshungrigen Frauen keinesfalls leicht macht.

Gogis Urheberin Nigar Nazar hatte selbst als eine der wenigen pakistanischen Frauen in den 70er Jahren erst Medizin studiert, war dann aber zur Bildenden Kunst gewechselt und hatte ihren Abschluss an der University of Punjabin in Lahore gemacht, der zweitgrößten Stadt Pakistans. Schon während ihres Medizin-Studiums hatte die junge Nazar ständig gezeichnet. Über die Jahre erschienen ihre Comics nicht nur in Pakistanischen Zeitungen und Zeitschriften, sondern auch in der Türkei und Libyen und wurden ins Englische übersetzt.

nizar nagar facebook

Am Anfang sollten meine Comics einfach nur unterhalten, später widmeten sie sich sozialen Problemen“, sagt Nazar, die heute in Islamabad wohnt und sich für UNICEF engagierte. Die Heldin Gogi sei vor allem für Kinder und junge Frauen eine gute Vermittlerin abstrakter Konzepte wie Demokratie, Toleranz, Frauenrechten, aber auch Alltagsdingen wie Hygiene und Umgangsformen. Vor allem aber setzt sich Gogi für das Recht muslimischer Frauen auf Bildung ein. Bildung ist in einigen Regionen meist nur für Jungen verfügbar – noch heute können nur rund 58 Prozent der Menschen in Pakistan lesen und schreiben.

Eine Ausstellung zeigt nun in Potsdam Nazars Arbeiten. Zur heutigen Eröffnung wird sie vor Ort Comics zeichnen und einen Einblick in die Comic-Welt Pakistans geben.

Vernissage 13. Januar 2016 ab 19 Uhr mit Nigar Nazar: Atrium der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, Karl-Marx-Straße 2, 14482 Potsdam

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Kolumne

Materialschlacht

Feine Papierarbeiten und Zeichnungen hatten es schwer, sich zur diesjährigen Kunstmesse abc in der Station Berlin durchzusetzen – bei all dem harten Stein, den monströsen Skulpturen und dem plastischen Gewächs, das die Hallen schon allein räumlich für sich einnahm.

Die art berlin contemporary ist bekannt dafür, mehr ein Jahrmarkt als eine snobistisch White-Wall-Kunstausstellung zu sein. Die Grenzen zu bunter, lichterfroher Kirmes und Kuriositätenkabinett sind fließend. Dieses Jahr sorgten bizarre organische Gebilde für jede Menge Ah-und Oh-Momente. So manche amorphe Materialtollerei spielte dem Auge einen Streich.

Peter Buggenhouts mit Sand überzogene Müllhaufen muteten wie untergegangene Schiffswracks oder postatomare Landschaft an. So manchem Besucher kam auch die makabere Wolfsschanze in den Sinn.

sand skulptur peter buggenhout

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Kunst

Es fing mit Neon-Orange an

Daniel Chluba ist Künstler aus Berlin. Er studierte bis 2012 an der Berliner Universität der Künste. Neben Videoinstallationen hat er eine Reihe von Objekten erdacht, die zuerst Skulptur waren und dann zu Performance-Objekten und später zu Abfall wurden. Wie sein Weinbrunnen von 2010: ein Turm aus Rotweintetrapacks, der von Besuchern der UDK schrittweise leergetrunken wurde und dann als Verpackungsmüllberg endete.  Humor und Performance sind in seinem Werk eng miteinander verknüpft. Warum Daniel Chluba immer Rot trägt und was seine Eltern eigentlich dazu sagen, verrät er hier.

Daniel, Du fällst vielen Leute in Berlin auf der Straße durch Deinen roten Komplett-Look auf. Magst Du die Farbe einfach nur oder ist das Teil Deiner Künstler-Performance?

Es fing in der Schulzeit an. Ich war 14 Jahre alt. Immer Rot zu tragen war damals eine gute Möglichkeit, Mädchen kennenzulernen. Heute ist es das auch noch. Zugleich war es eine Art passiv-aggressives Verhalten. Ziemlich viele Leute, die ich nicht leiden konnte, fanden das richtig scheiße. Erst experimentierte ich mit Neon-Orange. Das fanden schon manche ziemlich spooky. Dann habe ich Weiß probiert. Nur einen Tag, aber das ging gar nicht. Man sieht alles, wo Du lang gelaufen bist, wo Du angestoßen bist. Weiß ist eine Farbe für Leute, die nichts machen.

Selbst Deine Unterhosen sind immer rot?

Ja.

Damals war Rot also eine Strategie für Dich und was ist es heute, ein Statement?

Für mich ist es ein alter Hut, eine Tradition. Es ist zur Gewohnheit geworden. Ich werde das auch nicht ändern, außer es findet sich eine gute Alternative. Ich sammele alle meine abgetragenen Klamotten, sie sind alle archiviert. Wenn sich ein Käufer dafür finden würde, würde ich alles verkaufen und zu einer neuen Farbe übergehen.

Wie finden Deine Eltern Deine Kleiderwahl?

Meine Eltern finden es immer noch furchtbar und versuchen mir immer noch ein blaues T-Shirt anzudrehen.

Gab es mal einen Moment, in dem Du nicht Rot getragen hast?

Es gibt zwei Ausnahmen, bei denen ich kein Rot trug: Als meine Oma gestorben war, wurde ich von der gesamten Familie gezwungen für die Beerdigung Schwarz zu tragen. Und bei der Geburt meines Sohnes musste ich komplett Grün tragen, sonst hätte ich nicht in den OP gedurft.

Woran arbeitest Du zurzeit?

Ich mache gerade eine Sahnehutporträtserie. Ich hatte einmal überlegt, wie man einen perfekten Sahnehut hinbekommt und dann hatte ich sehr lange gegrübelt. Ich wollte dafür schon eine komplizierte Maschine bauen, aber dazu kam es nie. Für einen Hut benutze ich einen Liter frische Sahne. Innerhalb einer halben Minute muss man den Hut bauen und dann hast Du 5 Sekunden Zeit, das Foto zu machen. Das schöne daran ist der Live-Moment. Danach fängt die Sahne an zu laufen. Es ist eine furchtbare Sauerei. Aber es macht sehr viel Spaß.

Ein besonders gelungenes Exemplar eines von Daniel Chlubas Sahnehüten

Ein besonders gelungenes Exemplar eines von Daniel Chlubas Sahnehüten

Sahnehutporträts und andere Werke von Daniel Chluba kann man derzeit in der Galerie Rockelmann & anschauen.

Ausstellung „POTENTIAL IN THE ORDINARY“ 22.1. – 19.2.2015

http://www.rockelmann-and.com

http://www.daniel-chluba.de

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Kunst

Ergötzt euch an der Stille!

makarov bild web

Stille, Dunkelheit, Licht: Nikolai Makarov vor einem seiner Gemälde.

Die Lautlosigkeit als idealer Ort: Wie sich ein Museum in Berlin die Stille zur Aufgabe macht.

Rot. Die ganzen Wände, der Stuck, die Decke, alles rot. Was für eine ungewöhnliche Farbe für einen musealen Raum. „красный“, das russische Adjektiv für Rot, bedeutete ursprünglich auch „schön“, erklärt Nikolai Makarov. Makarov ist Konzeptkünstler und hat das Museum der Stille vor mehreren Jahren initiiert. Dieses Jahr wurde es wiedereröffnet. Der Name des Museums ist ebenso ungewöhnlich wie die Farbe der Wände. Kann man die Stille hören, kann man sie sehen? Stille ist heute der eigentliche Skandal, sagt Makarov. Diejenigen, die rumschreien, werden gehört. Stille und Bewegungslosigkeit zu ertragen, fällt vielen zunehmend schwer. Tatsächlich sind die meisten damit beschäftigt, an Tablets und iPhones herumzudaddeln und sich von Musik und Fernsehen beschallen zu lassen. Kontemplation ist out. Haben wir denn die Freude an der Stille verlernt? Nikolai Makarov will, dass die Menschen wieder lernen, die Stille zu fühlen, zu ertragen und sich sogar an ihr zu ergötzen. Er stellt in seinem Museum weiße Architekturmodelle aus, teilweise von namhaften Architekten. Es sind Räume der Stille, die irgendwann mal so gebaut werden sollen. Als ideale Rückzugsorte von der lauten Zivilisation, gleichzeitig aber mitten in den Städten. Für Makarov ist sein Museum eine Art Keimzelle: Hier soll die Stille Form annehmen. museum stille

 MUSEUM DER STILLE, Linienstraße 154A, 10115 Berlin-Mitte

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Kunst

Jahrmarktszauber

Neonlicht, Büdchen und ein Goldfisch im Edelsteinbehälter: Die Berliner Kunstmesse abc präsentiert sich als bunte Zirkusnummer.

Neon scheint ja jetzt schwer angesagt zu sein. Das wird dem Besucher der abc Kunstmesse in der Station am Gleisdreieck dieses Jahr schon am Eingang klar. Am Dach des früheren Bahnhofs sind allerlei Neon-Comicfigürchen angebracht. Als Dekoration ist das ja ganz witzig. Aber auch im Inneren haben die Künstler bei ihren Werken nicht am Neonlicht gespart. Es ist eben ein gutes Mittel, um die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Auch auf etwas, das eher mittelmäßig ist. Es ist ein besonders grelles Licht und die Augen können sich nicht wehren. Wie bei Leuchtreklame. Die Frage, warum man jedoch jeden x-beliebigen, uninspirierten Satz gleich als Neonschrift an die Wände bringen muss, weil man denkt, in Neon wäre er originell und Kunst, stellt sich unweigerlich. Nach einem kurzen Rundgang durch die abc, die sich selbst als Plattform für internationale Galerien und Künstler sieht, wird klar: Viele der ausgestellten Werke sind vor allem auf schnelle Konsumierbarkeit hin angelegt. Zum längeren Sinnieren wird man erst gar nicht verleitet. Man soll nicht über die Kunstobjekte nachdenken, man soll in sie hineinspazieren wie in ein Zirkuszelt, man soll in sie hineingucken und staunen wie in einer Wunderkammer. Gleich in der Eingangshalle steht eine Box. Aus dem Inneren strahlt das blaue Licht der Neonröhren. Beim Herantreten entpuppt sich der Kasten als Ein-Mann-Bar. Die „Bar der Einsamkeit“, wie die Dame daneben erklärt. Während hier jedoch ein einsamer Trinker zum Begaffen fehlt, kann man an anderer Stelle in der Halle einem schwarz bemalten Wilden beim Herumsitzen in einer Art Jahrmarktsbude zuschauen. Das Innere des Büdchens nennt sich dann auch Mad Animal Room. Wer nun denkt, das wäre es mit der Attraktion gewesen, irrt. Mehr noch als der ungewaschene Wilde zieht ein anderes Arrangement den Blick der Besucher auf sich: Inmitten der ganzen bunten Kunst hängt ein Amethystdruse. Und weil ein Edelstein allein langweilig gewesen wäre, hat ihn der Künstler mit Wasser gefüllt und einen Goldfisch hineingesetzt.

http://www.artberlincontemporary.com/de/

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Kunst

Die Sonne ist ein Kreis.

Der Lichtkünstler Otto Piene versuchte, was sich 120 Jahre zuvor schon William Turner vorgenommen hatte: dem Licht eine Form zu geben.

Wer glaubt, dass die Kunst der 60er und 70er Jahre nur bunt und poppig war, irrt. Nicht alle Künstler haben kitschige Kaleidoskop-Orgien im LSD-Rausch hinterlassen. Otto Piene hat in jener Zeit ein verblüffend eigenständiges Oeuvre geschaffen. Es ist gleichsam düster und hell. Wer nur seine psychedelisch farbige Lichtshow in der Neuen Nationalgalerie gesehen hat, macht sich keine Vorstellung. Pienes künstlerisches Anliegen war alles andere als bescheiden. Er machte sich daran, nichts Geringeres als das Flüchtige, das Atmosphärische darzustellen: das Licht, das Feuer, das sich Verzehrende, das Züngeln, den Rauch. Doch scheint es nicht schwer vorstellbar, das Ephemere zu malen, gar zu modellieren? Wie kann ein Künstler etwas festhalten, dass nicht festzuhalten ist und welche Farbe gibt er ihm? Alles keine abwegigen Fragen.

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Wie Kinder das machen, ist jedem bekannt. Kinder malen ja gerne Regenbogen, weil sie dann so gut wie alle Farben verwenden können, die sie haben. Die Sonne ist bei ihnen ein gelber Kreis mit gelben Strichen oder Zacken. Wolken werden durch ihre Hände zu blauen Kissen. Sternschnuppen sind nichts weiter als ein Stern mit einem Stiel dran. Rauch erscheint als graue Schraffur auf dem Blatt oder als gewellte Linien. Kinder tun sich nicht schwer daran, den flüchtigen Dingen klar umrissene Formen zu geben. Seien wir ehrlich, würden wir den Auftrag kriegen, eine Sonne zu malen, würden wir sie auch als Kreis malen, als gelben Kreis. Aber es geht ja nicht um uns, sondern um Otto Piene. Der zeigte eine erstaunliche Kreativität, wenn es um die Darstellung der Elemente Luft, Feuer und Licht ging. Seine Rauch- und Feuerbilder erhalten ihre besondere Aura gerade durch die Einbeziehung dessen, was sie thematisieren: Öl und Ruß auf Leinwand. Öl, Feuer und Heu auf Leinwand. Indem Piene seine Bildträger ankokelte, kam er den Phänomenen der Sonne näher als der englische Maler William Turner um 1846 mit seinen Wasserfarben. Auf Pienes roten Sonnen scheint es tatsächlich zu brutzeln und zu züngeln.

otto piene lamp webDoch damit nicht genug. Bei seinen Lampen und Installationen geht das Experiment der Elemente weiter. Und stößt auch an seine Grenzen. Skulptur zwingt unweigerlich zur Abstraktion, Licht und Feuer werden in reduzierte Formen überführt. Pienes changierende Lampen regen weniger zu philosophischen Gedanken über das Ephemere an, man hält sie vielmehr für formidable Einrichtungselemente. Da muss man heute schon länger suchen, um ähnliche Schmuckstücke zu finden. Pienes Weißer Lichtgeist von 1966 erinnert an Brancusis Colonne sans fin. Und an die Lavalampen, die in den 70ern so beliebt waren. An eine High-Class-Variante der Lavalampen. Bannt Piene noch das Licht bei seinen Lampen in feste Formen, so lässt er ihm bei seinen lichtkinetischen Arbeiten freien Raum. In der dunklen Kammer am Ende der Ausstellung wird man Zeuge einer fast kosmischen Schau. Lichtteilchen entstehen, verbinden sich mit anderen, vergehen, spermienartige Gebilde schweben umher. Eine Art Ursuppe. Otto Piene nannte es „Lichtballett“.

Otto Piene. More Sky, Kunsthalle Deutsche Bank, Unter den Linden 13/15, Berlin-Mitte, 10-20, bis 31.8.2014

 

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Kunst

Kein Dienst nach Vorschrift: Manfred Carpentier zum 60.

Manfred Carpentier by Jan Sobottka

Manfred Carpentier und Heiner Müller © Jan Sobottka

Er wäre wohl heute nicht unter uns, wenn sein Ur-Ur-Ur-Großvater nicht dem Hugenotten-Gemetzel in der Pariser Bartholomäusnacht entkommen wäre. Auch hat er keine ausufernden Drogenexperimente in den 70ern und 80ern mitgemacht und keine Frau so unglücklich geliebt, dass er sich ihretwegen hätte umbringen müssen. Den 60. Geburtstag erleben zu dürfen, heißt auch, Beständigkeit und Normalität als Gerüst des Lebens zu akzeptieren. Und natürlich die Maxime umzusetzen, der zu werden, der man sein will. Und nur der.

Manfred Carpentier wurde am 7. August 1954 in Gerolstein geboren. So schön das gute Quellwasser auch gewesen sein mag, der Ort in der Eifel band den jungen Manfred nicht lange an sich. Nach den Strapazen der Gymnasialzeit in Leverkusen (die Adoleszenz endet grundsätzlich im Trauma oder der Rebellion) machte er sich Anfang der 70er Jahre nach Berlin auf. Dass seine erste Studentenbude damals im Wedding karg und abgefuckt war, wird keinen überraschen. Auch heute noch hausen die meisten Erstsemester in Löchern. (Das Schöne daran: man weiß, dass es nur besser werden kann.) Wohnungstechnisch wurde es dann auch stetig besser. Vom Wedding nach Kreuzberg, später Zehlendorf, und nun in Wilmersdorf, in der Meinekestraße 12A-13. Gründerzeitbau um 1902. Wie Manfred das wurde, was er heute ist, hätte so manche Zigeunerhexe vielleicht schon damals in seinen Handlinien lesen können, aber so klar war es zu seiner Studentenzeit noch nicht. Zeit, sich seinem Germanistikstudium zu widmen, fand er nicht immer (Berlin ist eigentlich keine gute Stadt, um zu studieren, zu viele Möglichkeiten der Zerstreuung). Um Geld zu verdienen, wurde er zum Nachtwächter und kontrollierte gewissenhaft West-Berliner Tür und Tor. Er half bei kleineren Aufbauarbeiten in Berlins damals heißesten Rockschuppen, dem Quartier Latin in der Potsdamer Straße, oder verdiente kleines Geld als Kurier dazu. Doch Manfred hatte auch künstlerische Ambitionen: Er malte, schrieb Romane und Gedichte. Bald jedoch wurde dem tatkräftigen, jungen Mann klar, dass er sich besser um einen beständigen, sicheren Beruf bemühen sollte. Er studierte noch einmal- diesmal richtig- und wurde Diplom-Bibliothekar. Den Beamten-Status steckte er in die Tasche. Nach einem kurzen Intermezzo als Manager des Potsdamer Golfclubs erhielt er Mitte der 90er Jahre eine feste Stelle beim Landesarchiv Berlin. Die Liebe zur Kunst bewahrte er sich weiterhin.

Dass es nie zu spät ist, seine Träume zu verwirklichen, bewies Manfred 2010, als er seine Privatgalerie, seinen „Raum für Kunst“, eröffnete. Tagsüber ging er seinem Brotberuf nach und organisierte den Galeriebetrieb in seiner Freizeit. Dass er auch da wohnt, wo er seine Galerie hat, mag ungewöhnlich sein. Doch: Er lebt die Galerie buchstäblich. Die Gäste fühlen sich auch deshalb so wohl bei ihm, weil es etwas Privates hat. Die Grenzen sind fließend, auch für seine Besucher. Sie könnten sich theoretisch in sein Bett legen. Manfreds Privatgalerie ist ein Ort der Geselligkeit, der ausgelassenen Gespräche. Gern wird hier auch mal über den Durst getrunken. Einfach weil es so gemütlich ist. Die gängigen Öffnungszeiten Berliner Vernissagen werden hier grundsätzlich missachtet. Alte West-Berliner Grand Dames treffen auf Fotografen, Lebenskünstler und Leute, die seriösen Berufen nachgehen. Manfreds persönliche Vorliebe ist die Fotografie. Es verwundert daher nicht, dass seine Galerie vor allem Berliner Fotografen betreut und ausstellt. Wenige Galerien in Berlin widmen sich der zeitgenössischen Fotografie in Berlin. Noch weniger der historischen Stadtfotografie Berlins und seiner Umgebung. Umso erfreulicher, dass Manfred uns die Phänomene dieser Stadt alle zwei Monate immer wieder von Neuem präsentiert. Das Highlight des vierjährigen Galeriebestehens ist denn auch die derzeitige Ausstellungsreihe „Berlin Photography”: Junge Fotografen zeigen, was sie von ihren Streifzügen durch Berlin mitgebracht haben.

Berlin macht es einem nicht leicht, aber irgendwann findet jeder seine Bestimmung. Wir sind gespannt auf viele weitere Ausstellungen. Alles Gute zum Geburtstag, Manfred!

 Carpentier Galerie, Meinekestraße 12, Berlin-Wilmersdorf, Di-Fr 16-18

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Kolumne

Der Berliner rennt überall hin…

neue nationalgalerie 2 klein

Über der Neuen Nationalgalerie steigen Lichtpolypen auf und die Massen strömen hin. Warum der Berliner jedes Event mitmacht – egal welches.

Es ist Samstag. Es ist Sommer. Traumtemperaturen und ärmelfreies Kleidchen auch noch am Abend, so kennt man es vor allem aus dem Italien-Urlaub. Aber manchmal ist eben auch in Berlin richtiger Sommer. Wie an diesem Samstag. Und was macht der Berliner? Er hat gehört, dass heute Abend der Nachthimmel bespielt werden soll. Ein „Sky Art Event“. Wenn der Berliner „Event“ hört, wird er neugierig. Er wittert die Chance, Teil einer besonderen, unwiederbringlichen Begebenheit zu werden. Wenn er noch dazu hört, dass der Eintritt frei ist, dann fällt ihm kein Argument mehr ein, nicht hinzugehen. Ja, er ist geradezu freudig erregt: Es wird etwas geboten in der Stadt und auch er ist eingeladen. Zwar gibt es Open-Air-Großereignisse wie Gallery Weekend oder Festival of Lights, aber Kunst-Spektakel sind in Berlin doch eher selten. Umso größer ist der Andrang, wenn mal etwas passiert. Tausende Schaulustige umrunden die Neue Nationalgalerie, kampieren auf Boden und Stufen, pilgern die Potsdamer Straße rauf und runter. Man staunt schon, wie viele Leute gekommen sind, um drei mit Luft aufgeblasene Sterne zu sehen, die sich auf dem Dach der Neuen Nationalgalerie heben und senken. Aber es sind ja auch nicht irgendwelche Sterne. Der kurz vor dem Event verstorbene Künstler Otto Piene hat sie erdacht. Wie die Tentakelarme eines Wasserpolypen räkeln sich die Lichtskulpturen in den Berliner Nachthimmel. Was an diesem Abend wieder mal auffällt: Die Menschenmenge berauscht sich hauptsächlich an sich selbst. Das Kunstwerk wird zur Kulisse für das kollektive Herumstehen der Gruppen. Das ist die positive Seite der Masse: Sie stiftet eine Art Freude und Zusammengehörigkeit. Der Einzelne wird Teil des Großereignisses, der Einsame ist unter Leuten.

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Kunst

Auch dieses Maiskorn ist nicht für ewig.

bunker popcorn

Was uns eine Popcornmaschine in Boros Bunker über die Vergänglichkeit erzählt.

Erinnern Sie sich noch an das Märchen vom süßen Brei der Gebrüder Grimm? Da lässt ein Mädchen einen magischen Kochtopf alleine, der nicht aufhört, süßen Brei zu produzieren, bis die ganze Wohnung überquellt. Was passiert, wenn man eine Popcornmaschine alleine zurücklässt, ohne sie auszustellen, kann man derzeit in einem der Räume in Boros Bunker beobachten. Dort liegen all die gepufften Maiskörner, die sie seit September 2012 hervorgebracht hat. Die gelbe Masse hat sich schon weit in den Raum vorgearbeitet. Die untersten Körner hat die Zeit schon zerrieben. Am Anfang ist die Maschine noch heiß gelaufen. Jetzt hat sie sich aber an das monotone Produzieren gewöhnt. Auch dank gelegentlicher Ruhephasen. Als wir den Raum betreten, macht die Maschine gerade Pause, kein Ploppen, nur der alles durchdringende Geruch von geröstetem Mais. Besonders die jüngeren Besucher sind fasziniert. So viel Popcorn fasst nicht mal ihre Jumbo-Tüte im Cinemax. Ein bisschen erinnert der Raum an Dagobert Ducks Geldspeicher, wo die reiche Ente den Ausdruck „Schwimmen in Geld“ regelmäßig in die Tat umsetzte. Ist die Popcornmaschine eine Metapher der Überflussgesellschaft? Der maßlosen Übertreibung? Oder der Vergänglichkeit? Der Künstler Michael Sailstorfer, der sie erdachte, sagte mal, er möchte veränderliche Skulpturen schaffen. Die Popcornmaschine ist eine Art Experiment. Das Experiment einer sich unkontrolliert reproduzierenden Kunst, die sich am Ende selbst konsumiert.

Führung buchen auf: http://www.sammlung-boros.de

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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