Die Lautlosigkeit als idealer Ort: Wie sich ein Museum in Berlin die Stille zur Aufgabe macht.
Rot. Die ganzen Wände, der Stuck, die Decke, alles rot. Was für eine ungewöhnliche Farbe für einen musealen Raum. „красный“, das russische Adjektiv für Rot, bedeutete ursprünglich auch „schön“, erklärt Nikolai Makarov. Makarov ist Konzeptkünstler und hat das Museum der Stille vor mehreren Jahren initiiert. Dieses Jahr wurde es wiedereröffnet. Der Name des Museums ist ebenso ungewöhnlich wie die Farbe der Wände. Kann man die Stille hören, kann man sie sehen? Stille ist heute der eigentliche Skandal, sagt Makarov. Diejenigen, die rumschreien, werden gehört. Stille und Bewegungslosigkeit zu ertragen, fällt vielen zunehmend schwer. Tatsächlich sind die meisten damit beschäftigt, an Tablets und iPhones herumzudaddeln und sich von Musik und Fernsehen beschallen zu lassen. Kontemplation ist out. Haben wir denn die Freude an der Stille verlernt? Nikolai Makarov will, dass die Menschen wieder lernen, die Stille zu fühlen, zu ertragen und sich sogar an ihr zu ergötzen. Er stellt in seinem Museum weiße Architekturmodelle aus, teilweise von namhaften Architekten. Es sind Räume der Stille, die irgendwann mal so gebaut werden sollen. Als ideale Rückzugsorte von der lauten Zivilisation, gleichzeitig aber mitten in den Städten. Für Makarov ist sein Museum eine Art Keimzelle: Hier soll die Stille Form annehmen.
MUSEUM DER STILLE, Linienstraße 154A, 10115 Berlin-Mitte
Die Reduktion auf das Wesentliche ist eben das Schwerste. Genau so schwer wie einen schweigenden Narren von einem Weisen, der schweigt, zu unterscheiden.
Eine wunderbare Hommage an das Oeuvre Nikolay Makarovs, dessen „Museum der Stille“ heute mehr denn je zur inneren Einkehr lockt. Rückblick ins Jahr 2000: Als Nikolaj Makarov zur Jahrtausendwende seine berühmten Kakerlakenrennen inmitten von Bars, Salons oder Galerien, den feierfesten Epizentren einer damals noch tobenden und angstbefreiten Bohéme veranstaltete, ahnte kaum jemand, daß etwa ein Jahrzehnt später nicht „mangelnde Jobperspektive“, sondern „knapper Wohnraum“ zum nervenden wie realen Dauerthema gerieren würde. Makarovs teils vom TV übertragenen Kakerlakenspektakel fügten sich einst nahtlos in das Bild der feierfreudigen und lebensfrohen Russen, welche von den Urhebern der Russendisko, den DJs bzw. Autoren Gurzhky und Wladimier Kaminer im legendären Kaffee Burger bis zur Erschöpfung ( in jedweder Hinsicht) durchgetrieben wurde. Doch gab und gibt es aber sowohl bei Kaminer, als auch Makarov und vielen anderen russischen Künstlern eine dem Feierexzess diametral gegenüber stehende andere Seite: Die des tiefsinnigen, zerebralen, philosophischen wie eben stillen Denkers, welche ebenso für das künstlerische, wie auch das russische Gemüt steht.
Als nach und nach immer mehr Touristenkarawanen durch Berlin zogen, der beliebte Easy Jet unbeliebte Wochenendalkoholiker an die Spree spülte, deren rüdeste Reisende Freitag Abends nun auch durch Mitte grölten, statt stundenlang an teuren LongDrinks in saturierter Barlandschaft Londons, Madrids, Roms oder Kopenhagens herumzunippeln, schloß Nikolaj seine Bar, bald auch das stille Museum, ging zum Leidwesen vieler seiner Besucher der Stille und Begleiter aus bewegter Boheme (Seufz!) hinfort, nach New York, nach Moskau, mal hierhin und woandershin – und produzierte sukzessive viele seiner bedeutenden Werke in einer langen, fruchtbaren Schaffensperiode. Zwar war er schon vor seiner, tja, inneren Einkehr ein prominenter wie erfolgreicher Künstler, aber da nach Berlin nur noch New York, London und Moskau kommen, kratzte er fortan notgedrungen wie folgerichtig an der Wiedererkennungsmarke „Weltberühmt“. Dabei dürfte Makarov einer der wenigen weltberühmten Künstler sein, die zwar genau so aussehen und genausolche Werke schaffen, aber gar nicht so wirken. Denn Nikolaj Makarov ist seiner Seele, seiner Bestimmung treu geblieben. Und diese Bestimmung findet sich in seinen Bildern, die dem Betrachter Raum für Einkehr, ja, Ein-Sicht geben.
Im Japanischen gibt es ein Wort für den Raum „zwischen den Hauswänden“. Einen Raum der dafür da ist, daß da eben nichts ist. Denn ist das Nichts nicht da, fehlt der Raum für das Alles. Und diese Erkenntnis will etwas heißen in einem der dichtest besiedelten Ländern dieser Erde. Das Wort dafür fällt mir nun natürlich nicht ein, da mein Alltagsjapanisch etwas bröckelt. Aber das Stille Museum fällt mir wieder ein – und wie es gefehlt hat, ja. Weg vom KlimBim und Gewusel des Alltags in unserer Medienwelt, dessen inflationäre Reizüberflutung unsere Synapsen schon längst ertauben und erblinden, ja unsere Aufmerksamkeit verkümmern läßt. Stille ist andächtig, heilsam, sakral. Religion, ein Begriff, der im Sanskrit wurzelt, heißt Innenschau. Und ebenso wie der überhitzte Terminus „Religion“ – mit all seinen mitunter von Eifer geprägten Auswüchsen – wird der Begriff „Museum“ bei Makarov zum Oxymoron: Nicht Quantität und Sammelwut finden Einzug in sein Museum, sondern Qualität und zeitlose Eleganz: Die Harmonie der Sinne. Im Museum der Stille. Willkommen zurück.
super geschrieben/beschrieben. Auf die Frage ob man die Stille hören kann, ja man könnte es hören, aber es ist zu laut in d. Welt. Ich werde es demnächst in d. Museum der Stille ausprobieren.