Lifestyle

Ich bin ganz lieb.

Sind Oldtimer-Fahrer bessere Menschen? Zumindest werden sie seltener angepöbelt.

Nirgendwo benehmen sich die Leute rüder als im Straßenverkehr, nirgendwo wird mehr geschrien und geflucht (außer vielleicht noch im Fußball-Stadion). Eigentlich macht es gar keinen Spaß in Berlin Auto zu fahren. Es gibt aber zwei Ausnahmen. Im Cabrio oder noch besser: im Oldtimer. Neulich fuhr ich in der Déesse eines Freundes auf dem Beifahrersitz mit. Sitze wie ein bequemes Ledersofa, kein Sicherheitsgurt. Es war ein schönes Fahrgefühl. Und vor allem: wohlwollende Blicke von allen Seiten. Ein Mann im Cabrio schaut an der Ampel lächelnd herüber, Fußgänger zeigen auf uns, zwei junge Typen johlen uns aus ihrem aufgepimpten Wagen entgegen. Für den Freund nichts Neues. Die Aufmerksamkeit muss man aushalten können, unbemerkt bleibt er mit seiner DS 23 Pallas von 1973 nicht. Manchmal kleben sogar Liebesbriefe unter den Scheibenwischern, wenn er vom Einkauf wiederkommt.

Ja, Oldtimer sind sympathische Automobile. Man schaut sie gerne an. Als Zeugen einer nostalgischen Vergangenheit werden sie bewundert. Ihre Sympathie färbt dabei auf diejenigen ab, die sie fahren. Wer in so einem Auto sitzt, denkt man, ist bestimmt charmant, hat Stil, jagt nicht nur Trends hinterher. Der kann kein schlechter Mensch sein. Nicht so ein Macho mit dem neuesten 6er BMW, der dem Fahrradfahrer, den er umfährt, noch den Stinkefinger zeigt. Und so gut, wie man über Oldtimer denkt, werden sie auch im Straßenverkehr behandelt: Keine Probleme in die Spur reingelassen zu werden, kein aggressives Angehupe, kein arrogantes Aufgefahre, keine Wutgestikulationen aus dem überholenden Auto. Selbst übel weggedrängte Fahrradfahrer vergessen im Anblick des liebenswerten, alten Gefährtes, weswegen sie wütend waren. Die begonnene Schimpferei endet im Kompliment: „Tolles Auto übrigens!“ Oldtimer sind keinesfalls nur Geldanlage. Viel wichtiger: Sie sind Kommunikationshilfe für ihre Besitzer und elegantes Schutzschild gegen die Aggressionen der Umwelt. Leute halten sich Hunde, um mit anderen leichter ins Gespräch zu kommen, Leute eröffnen Galerien, weil sie Freunde und Geselligkeit suchen. Oldtimer-Fahrer wollen, so wie wir alle, geliebt werden.

 

 

 

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Stil

„I can’t fucking hear you!“

Wie altern Rockstars? Drei Open-Air-Konzerte dieses Frühsommers geben eine Antwort darauf.

Kürzlich rief das Magazin Cicero den letzten großen Sommer des Rock’n’Roll aus. Auf dem Titelblatt der Juni-Ausgabe erschienen Ozzy Osbourne und Mick Jagger als Grimassen schneidende alte Männer. Alt sind sie, keine Frage. Aber wie gehen sie damit um? Dass Totgeglaubte wieder auftreten können, das weiß man spätestens seit dem Konzert von Black Sabbath in der Wuhlheide vergangenes Pfingsten. Ozzy Osbourne lebt noch. Oder besser: Er ist wiederauferstanden. Und die Freude darüber kann selbst seine düstere Schminke nicht verbergen. Er hat die Zuwendung des Publikums, die vielen ausgestreckten Hände, den Ruf der Masse vermisst. Wer alte Bilder vom jungen Ozzy kennt, hatte kurz das Gefühl, das Gesicht des langhaarigen Mannes von damals aufblitzen zu sehen. Aber nur, als das Licht gerade vorteilhaft auf ihn fiel. Ansonsten sah er wie der gruselige, bleichgesichtige Greis aus, der er ist. In die Jahre gekommene Rockstars buhlen ja bekanntlich noch stärker um die Aufmerksamkeit ihres Publikums als blutjunge Rockmusiker. Ozzy Osbourne ist da keine Ausnahme. Immer wieder fordert er das Publikum auf, lauter zu jubeln: „I can’t fucking hear you!“ Ist das ein Zeichen von beginnender Altersschwerhörigkeit? Oder nur Ausdruck seines grenzenlosen Aufmerksamkeitsbedürftnisses? Oder beides?

Die Rolling Stones beweisen dagegen in der Waldbühne, dass sie sich mit 70 noch nicht zur Ruhe setzen müssen. Mit ihrer Mumienroutine überraschen sie zwar keinen Fan mehr, der schon alle Tourneen seit den 80ern mitgemacht hat, aber vor allem die unter 30-Jährigen sehen mit Bewunderung und gleichzeitiger Verwunderung den wilden Tanzeinlagen eines superdünnen Mick Jagger zu. Und freuen sich über die alten Hits, als könnten sie damit jeden Generationsunterschied überwinden. Und dann ist da noch John Fogerty, der will gar nicht erst zeigen, dass er sich verändert hat. Er zelebriert im Hamburger Stadtpark einen naiven Jugendkult und tut so, als wäre er wie damals. Warum sonst wirbt er für seine Tour in einem blauen Karohemd, das jenem zum Verwechseln ähnlich sieht, was er in den 70er Jahren trug? Nicht nur sein Gesicht scheint seit Jahrzehnten unverändert (angeblich ohne Botox), auch seine Stimme ist noch so hell, dass jeder der früheren Songs wie konserviert wirkt. Sind die alten Rockstars wirklich nur tragische Karikaturen der eigenen Person von vor mindestens 30 Jahren, wie der Cicero suggerierte? Oder zeigen Mick, Ozzy und Co nicht gerade, dass es viel cooler ist, nicht in Würde zu altern? In Würde altern, heißt doch nichts anderes, als sich mit dem eigenen Verfall abzufinden und das alles gar nicht so schlimm zu finden. Der ewige Glaube an die Jugend mag zwar absurd sein, aber er macht das Leben doch auch so viel spannender.

 

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Lifestyle

„Sogar die Blätter schienen zu uns zu sprechen.“

Sieht aus wie in Italien, ist aber ganz nah: Park und Anwesen von Gut Suckow in der Uckermark.

Verliebte müssen jetzt raus, in die Weite, in die Natur, irgendwohin, wo es nur sie und die einsame Landschaft und Seen und Wildblumen gibt. Sie müssen Cabrio fahren, Händchen haltend über Wiesen rennen, sich ins Gras werfen, Rehen nachschauen, nackt in einen See springen und all die Klischees nachleben, die nur im Sommer möglich sind. Romantische Klischees werden ja bekanntlich nur von denen belächelt, die sie selbst noch nicht erlebt haben. Wer sie erlebt hat, weiß: Sie sind wahr und wunderschön. Verliebte müssen in die Uckermark. Nach Gut Suckow. Der einstige Adelssitz ist heute ein romantisches Hideaway mit eigenem Park, See und Badehaus. Hier ließ es sich bis 1945 die Hauptlinie der weit verzweigten Familie der von Arnims gut gehen. Den Park im italienischen Stil schätze so mancher Gast zum Spazierengehen. Katharine Clemens, eine Verwandte der Familie, schwärmte in ihrer Autobiographie „gardens und books“ von dem Uckermärkischen Kleinod:

„Unsere Tage dort waren einfach wundervoll. Sogar die Blätter schienen zu uns zu sprechen und der schwache Duft der Waldblumen kam durch die Fenster wie eine ständige Aufforderung hinauszukommen.“

Manchmal hat man den ganzen Barockpark für sich: Gut Suckow in der Uckermark

Manchmal hat man den ganzen Barockpark für sich: Gut Suckow in der Uckermark

http://www.gut-suckow.de/

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Kolumne

Die Entdeckung des Monats

schule der trunkenheit

Mehr als zehn Jahre Erfahrung und jede Menge Geschichten

Die Schule der Trunkenheit: Das etwas andere Barbuch der Victoria Bar

Der Mensch denkt gerne nach, aber noch viel lieber berauscht er sich. Selbst Mönche sind da keine Ausnahme. Gott schuf den Menschen zu seinem Vergnügen und der schuf den Alkohol. Der brachte ihm Vergnügen und, wie bei allen Sachen im Leben, auch Leid. Der Grad zwischen Betrunkenheit und Hochstimmung ist bekanntlich oft sehr schmal. Trunkenheit will gelernt sein. Das ist die Botschaft der Victoria Bar. Wer gerne gute Cocktails trinkt, wird die Bar in der Potsdamer Straße kennen. Nicht wenige sind an ihrem Tresen schon versackt, weil es so gemütlich war. Seit die Victoria Bar 2001 in einer der damals abgefucktesten Berliner Ecken aufmachte, zählt sie zu den besten Bars Berlins. Mit Spirituosen kennen sich die Barkeeper aus. Aber alle Geheimnisse wollten sie nicht für sich behalten. Das Victoria-Bar-Team um Kerstin Ehmer, Stefan Weber, Beate Hindermann und Gonçalo de Sousa Monteiro erdachte deshalb 2003 die „Schule der Trunkenheit“. Zum Star-Barkeeper wird man durch die Veranstaltungsreihe nicht gleich, aber über Gin, Wodka, Whiskey und Co. wird man danach einiges zu erzählen haben. So vielfältig wie die Spirituosen und Drinks sind nämlich auch die Geschichten ihrer Entstehung. Zu Hause kann man alles im gleichnamigen Buch nachlesen. Wie komplex die Geschichte des Alkohols wirklich ist, hat Kerstin Ehmer, eine der Autoren, bei der Recherche schnell gemerkt: „Alkohol wird in der offiziellen Geschichtsschreibung oft ausgespart, das macht die Recherche mühsam. Alkohol und Kultur und Entwicklung sind tatsächlich sehr stark miteinander verzahnt.“ Die meisten Bar-Bücher sind Rezeptbücher. Dass es weder reines Handbuch noch Fachbuch ist, das macht diese „Kurze Geschichte des gepflegten Genießens“ so besonders.

Gepflegt ging es in der Geschichte des Alkoholkonsums jedoch nicht immer zu. Die Erfolgsgeschichte des Alkohols erklärt sich vor allem auch daher, dass „ernsthaftes Trinken“ den wenigsten ein Begriff war. Es ist eine Geschichte von Besäufnissen ganzer Volksschichten, Manipulationen und tragischen Karrieren, die im Rausch untergingen. Auch Piraten und Matrosen sahen im Alkohol wohl weniger ein Genuss- als vielmehr ein Nahrungsmittel. Seriöse Trinker und Bar-Dandys kommen in der Geschichte natürlich auch vor. Ohne die Anekdoten über die skurrilen Allüren und Trinkgewohnheiten der ein oder anderen Berühmtheit wäre das alles auch nur halb so lustig. Luis Buñuel zum Beispiel, ein klassischer Martini-Trinker, hatte als notorischer Außenseiter seine ganz eigenen Ansprüche an eine gute Trinkatmosphäre. Nicht „Schule der Trunkenheit“ sollte eine Bar sein, sondern eine Schule der Einsamkeit. Sie muss möglichst düster, sehr bequem und vor allem ruhig sein. Jede Musik, auch die Entfernteste, ist verpönt… Höchstens ein Dutzend Tische, möglichst nur Stammgäste, und zwar wenig gesprächige.“ Ob ihm die Victoria Bar gefallen hätte, wissen wir nicht, aber ruhig und einsam geht es da selten zu.

Die Schule der Trunkenheit. Eine kurze Geschichte des gepflegten Genießens, Metrolit Verlag, erschien September 2013. Das Buch ist für 20,- Euro am Tresen der Victoria Bar erhältlich: Potsdamer Straße 102, Berlin. Das neue Spirituosen-Semester beginnt im Oktober: http://www.victoriabar.de

 

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Kunst

Auch dieses Maiskorn ist nicht für ewig.

bunker popcorn

Was uns eine Popcornmaschine in Boros Bunker über die Vergänglichkeit erzählt.

Erinnern Sie sich noch an das Märchen vom süßen Brei der Gebrüder Grimm? Da lässt ein Mädchen einen magischen Kochtopf alleine, der nicht aufhört, süßen Brei zu produzieren, bis die ganze Wohnung überquellt. Was passiert, wenn man eine Popcornmaschine alleine zurücklässt, ohne sie auszustellen, kann man derzeit in einem der Räume in Boros Bunker beobachten. Dort liegen all die gepufften Maiskörner, die sie seit September 2012 hervorgebracht hat. Die gelbe Masse hat sich schon weit in den Raum vorgearbeitet. Die untersten Körner hat die Zeit schon zerrieben. Am Anfang ist die Maschine noch heiß gelaufen. Jetzt hat sie sich aber an das monotone Produzieren gewöhnt. Auch dank gelegentlicher Ruhephasen. Als wir den Raum betreten, macht die Maschine gerade Pause, kein Ploppen, nur der alles durchdringende Geruch von geröstetem Mais. Besonders die jüngeren Besucher sind fasziniert. So viel Popcorn fasst nicht mal ihre Jumbo-Tüte im Cinemax. Ein bisschen erinnert der Raum an Dagobert Ducks Geldspeicher, wo die reiche Ente den Ausdruck „Schwimmen in Geld“ regelmäßig in die Tat umsetzte. Ist die Popcornmaschine eine Metapher der Überflussgesellschaft? Der maßlosen Übertreibung? Oder der Vergänglichkeit? Der Künstler Michael Sailstorfer, der sie erdachte, sagte mal, er möchte veränderliche Skulpturen schaffen. Die Popcornmaschine ist eine Art Experiment. Das Experiment einer sich unkontrolliert reproduzierenden Kunst, die sich am Ende selbst konsumiert.

Führung buchen auf: http://www.sammlung-boros.de

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Kunst

Das da drüben ist bestimmt auch Kunst!

Zollstock Sammlung Haubrock

Hätte man beinahe übersehen: Der Zollstock von Andreas Slominski auf der Fensterbank

Warum ein Zollstock in der Sammlung Haubrok herumliegt.

Dass man Kunstgeschichte studiert hat, merkt man, wenn man einen Zollstock auf der Fensterbank einer Galerie liegen sieht und denkt: Das gehört bestimmt mit zur Ausstellung. Jeder andere hätte gedacht: Komisch, irgendjemand hat seinen Zollstock hier vergessen. Und diese Reaktion kann man vollkommen nachvollziehen. Der Zollstock steht nicht auf einem Sockel, er hängt nicht an der Wand, er liegt einfach nur rum. Warum sollte er Kunst sein? Als Kunsthistoriker ist man abgeklärter. Viel Unverständliches, Banales, Absurdes, Unauffälliges haben Künstler schon hervorgebracht. Und man weiß: Dass Industrieerzeugnisse, Fundstücke, banale Alltagsobjekte in den Rang von Kunstwerken aufsteigen und sogar ausgestellt werden, ist möglich. Seit jemand mal auf die Idee kam, ein Pissoirbecken um 90 Grad gekippt liegend zu präsentieren und entschied, dass es nicht länger ein Urinal sei und damit Erfolg hatte. Er nannte es „Foutain“ und „Readymade“. Der Gedanke, der dahinter steckte: Ein unveränderter Alltagsgegenstand wird allein durch die Auswahl des Künstlers und die Umbenennung zu dem, was er ist: zum autonomen Werk. Marcel Duchamp hieß der Typ, der die Idee hatte. Er wurde damit zu einem der einflussreichsten Künstler des 20. Jahrhunderts. Wegen ihm liegt heute dieser Zollstock des Künstlers Andreas Slominski in der Sammlung Haubrok herum. Wegen ihm gehen heute Künstler in den Baumarkt und können ihre Beute in Ausstellungen zeigen, ohne ausgelacht zu werden.

Die Sammlung Haubrok, in der „Fahrbereitschaft“, Herzbergstraße 40/43 Berlin-Lichtenberg

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Schnappschuss

Auf dieser Wiese chillt ganz Mitte

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Gäbe es den Weinbergspark nicht, müssten die Mitte-Leute in den Tiergarten radeln.

Es ist ein Sommer-Phänomen: Der Weinbergspark, eingeklemmt zwischen Brunnenstraße, Veteranenstraße und Weinbergsweg, füllt sich mit gut aussehenden, alternativen, jungen Menschen. Ein Bier oder ein Buch in der Hand, Jungs mit entblößtem Oberkörper, Gruppen von vier oder fünf Spaniern, junge, sorgenlose Familien. Dazwischen läuft dann und wann ein Bettler mit Tüte herum und lässt sich leer getrunkene Flaschen reichen. Es ist eine besonders gute Lage: Die Nachmittagssonne bescheint ungehindert dieses grüne Fleckchen. Es ist dazu noch der einzig richtige Park in der Gegend. Zwischen all dem rauen, alten, besprayten, renovierten, gehypten Beton, dem Asphalt, den Läden. Ein wahrer Sonnenhang. Nicht zu groß, um noch ein Stückchen Intimität vorzugaukeln. Die Bäume schotten ihn vom Trubel der Torstraße ab.

In Berlin Mitte, dem Torstraßen-Mitte, gibt es von den wirklich wichtigen Dingen nur ganz wenige: es gibt den einen Ackerstraßen-Rewe, und es gibt den einen Park.

 

 

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Kolumne

G wie Grandezza

grandezza

Kein anderes italienisches Wort ist zur Zeit in den deutschen Feuilletons beliebter.

Alles und jeder hat heute „Grandezza“. Restaurants, Inseln, Opernsängerinnen, Boulevards, Designer und viele mehr. Journalisten und Kritiker verwenden das italienische Substantiv, wo sie können, als gäbe es einen Preis zu gewinnen. Obwohl ursprünglich als Eigenschaft von Personen verwendet, haben heute selbst Rassehunde und teure Spirituosen „Grandezza“. Aber was steckt für ein Sinn dahinter? So einfach ins Deutsche übersetzen lässt sich das italienische Wort nicht. Es wird meist im Sinne von „Hoheit“ und „Würde“ gebraucht. „Grandezza einer Hollywood-Diva“ etwa, oder „mit der Grandezza eines Weltmannes“. Um nur zwei Beispiele zu nennen, bei denen die Anwendung des Wortes als gelungen bezeichnet werden kann. Wenn ein Journalist aber besonders originell sein will, schießt er auch schon mal über’s Ziel hinaus: „Und nach einer guten Viertelstunde, in der sich 50 Cent und seine beiden Stammgefährten (…) die Zungen lockerten, installierte sich im Hintergrund eine vierköpfige Band. Diese verhalf den Beats von 50 Cents Mentor Dr. Dre zu noch mehr Grandezza.“ Oder: „Grandezza für den finalen Weg. Die letzte Fahrt des Bestattungswagens von Ernst Reuter, Benno Ohnesorg und Marlene Dietrich ins Museum“.

Der ursprüngliche Wortsinn war ein ganz anderer: Zu Beginn des 17. Jahrhunderts fand das spanische Wort „Grandeza“, was soviel wie „Würde eines Granden“ bedeutete, seinen Weg in die deutsche Sprache. Ein Grande war ein Angehöriger des spanischen Hofadels. Sprach man von seiner „Grandeza“, meinte man seinen Stolz, sein hochtrabendes Wesen. Was scheinbar zuerst eine negativ konnotierte Eigenschaft war, wandelte sich später in einen positiven Charakterzug: Erhabenheit, Würde, Noblesse, Selbstbewusstsein. Heute wird das Wort nur noch in der italienischen Schreibweise verwendet. Man kann verstehen, warum es so beliebt ist. Es schafft, was den deutschen Wörtern „Würde“ und „Hoheit“ nicht gelingt: Es kombiniert eine innere Haltung mit einer äußeren Wirkung. „Grandezza“ strahlt eine gewisse Leichtigkeit und Eleganz aus. Für uns Deutsche klingt es nach Weltbürgertum, nach Kosmopolit. Der römische Grandseigneur Jep Gambardella aus dem Film „La grande bellezza“ verkörpert prototypisch das Lebensgefühl, das mit dem Wort einher geht.

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Schnappschuss

Zurück in die Zukunft

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Futurismus der 70er Jahre: Ehemaliges Kongresszentrum Bad Gastein

„Im Herzen Bad Gasteins, 1970-74 unter Anleitung des Architekten Gerhard Garstenauer in den gesprengten Fels betoniert, liegt das Kongresszentrum. Hier modert und fault eine Zukunft, die nie beginnen sollte. Die unteren Stockwerke können nur noch mit Atemschutz betreten werden. An diesem Ort ist alles möglich.“ – „Elevator Girl“ von Friedrich Liechtenstein

http://www.heavylistening.de

 

 

 

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Kunst

Kunst für kultivierte Metzger

Die Michael Schultz Galerie zeigt Schweinehälften aus Porzellan

Schon mal vorweg: Diese Ausstellung eignet sich nicht für Tierliebhaber, Vegetarier oder Anhänger der veganen Esskultur. Alle anderen werden etwas zu gucken haben. Die „China Meat Series“ des chinesischen Künstlers Ma Jun versammelt Hälften, Füße und Köpfe vom Schwein. Und das alles in Lebensgröße. Für den ein oder anderen Kunstliebhaber unter den Fleischern wird sich hier ein ordentliches Stück für das heimische Wohnzimmer finden. Scherz beiseite: Wer wird so etwas kaufen? Kunstsammler wie Boros vielleicht? Sehr extravagante Sammler sicher. Documenta-Publikum.

Normalerweise wird man nicht mit Fleisch in dieser Form konfrontiert. In Scheiben, in Stückchen, portioniert, aber nicht im Ganzen. Rohes Fleisch, totes Tier erzeugt immer auch Ekel. Indem Ma Jun die Schlachterzeugnisse aber in weißem Porzellan fertigt, nimmt er ihnen etwas von der brutalen Materialität, die Fleisch sonst anhaftet.

Ma Jun, „Immaterial Substance“ noch bis 7. Juni 2014. Michael Schultz Galerie, Mommsenstraße 34
, Berlin


 

 

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