Kolumne

Von der ganzen Milch endlich rein gewaschen.

Warum der Entertainer Friedrich Liechtenstein im Radialsystem auf der Bühne duscht und die jungen Mädchen über sein Alter rätseln.

L’après-midi d’un Faune“ von Claude Debussy läuft im Hintergrund. Friedrich Liechtenstein hat angekündigt, dass er jetzt tanzen wird. Er steht im dunklen Anzug auf der Bühne des Radialsystems und hat die Sonnenbrille auf. Dass der Entertainer gerne nonchalant in der Welt herum tänzelt, weiß man inzwischen. Seine Musikvideos sind voll von Tanzeinlagen, mal in Berlin-Mitte, mal zwischen Supermarktregalen. Und nun beginnt er auch das Release Konzert zu seinem neuen Album mit einer Art Tanz. Würde man sich einen schelmischen Faun tanzend vorstellen, er sehe genau so aus. Liechtenstein bewegt sich wie ein verzückter Troll. Dann macht er die zweite Ankündigung des Abends: „Ich werde jetzt duschen und die ganze Milch mal abwaschen.“ Liechtenstein knöpft erst das Hemd auf, dann streift er die Hose ab und steht nur noch in roten Socken und Unterhose da. Damit hatte das Publikum ganz sicher nicht gerechnet. Dass ein Entertainer auf der Bühne duscht, kommt ja auch eher selten vor. Im Falle von Liechtenstein hat es aber eine Bewandtnis: Die Milch muss ab. Und nicht irgendeine, sondern die Edeka-H-Milch. Wir erinnern uns: Im Edeka-Werbespot, der Liechtenstein bekannt und zu „Mr. Supergeil“ gemacht hat, badete er in der H-Milch-Hausmarke. Nun greift er zum symbolischen Duschakt, um sein Image als Werbeikone abzuwaschen. Ob die äußerst bedeutungsschwangere Geste beim Publikum vollständig ankam, bleibt offen. Es war auch so ein sehr amüsanter Anblick.

liechtenstein konzert 2Was im ersten Teil mit der Dusche klein anfing, geht nach der Pause groß weiter. Es rauscht. Wieder fließt Wasser. Die Projektion eines gigantischen Wasserfalls taucht vor den Augen des Publikums auf. Ein wild romantisches Bild, es könnte aus einer Freischütz-Opernaufführung stammen. Wer schon mal da war, erkennt ihn wieder: es ist der unersättlich tosende Wasserfall im Zentrum des Alpen-Kurortes Bad Gastein. Jener Ort, der Friedrich Liechtenstein zu seinem neuen Konzeptalbum inspirierte. Darin geht es um Frauen, Sehnsüchte, Enttäuschungen, also all die Erinnerungen, die ein älterer Herr wie Liechtenstein so im Laufe des Lebens anhäuft. Frisch geduscht und in seinen silbergrauen Hausmantel gehüllt, erzählt er davon in seinem Song „Belgique, Belgique“, einer Art fantastischer Autobiografie. Der melancholisch verklärte Rückblick eines Mannes, der viele Rollen und Frauen tauschte. „1958, da war ich das erste Mal in Belgien, in Brüssel, auf der Expo. Ich war damals 30 Jahre alt, ich war freundlich und sah extrem gut aus.“ So beginnt die Geschichte. Wer den Song zum ersten Mal hört, möchte sie für Liechtensteins eigene halten. Ein verrücktes Leben mit unvorhergesehenen Wendungen, das traut man ihm zu. Aber dann wäre er ja jetzt 86 Jahre alt. Zwei Mädchen tuscheln im Publikum: „Ist der wirklich schon so alt? Sieht gar nicht so aus.“

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Stil

„I can’t fucking hear you!“

Wie altern Rockstars? Drei Open-Air-Konzerte dieses Frühsommers geben eine Antwort darauf.

Kürzlich rief das Magazin Cicero den letzten großen Sommer des Rock’n’Roll aus. Auf dem Titelblatt der Juni-Ausgabe erschienen Ozzy Osbourne und Mick Jagger als Grimassen schneidende alte Männer. Alt sind sie, keine Frage. Aber wie gehen sie damit um? Dass Totgeglaubte wieder auftreten können, das weiß man spätestens seit dem Konzert von Black Sabbath in der Wuhlheide vergangenes Pfingsten. Ozzy Osbourne lebt noch. Oder besser: Er ist wiederauferstanden. Und die Freude darüber kann selbst seine düstere Schminke nicht verbergen. Er hat die Zuwendung des Publikums, die vielen ausgestreckten Hände, den Ruf der Masse vermisst. Wer alte Bilder vom jungen Ozzy kennt, hatte kurz das Gefühl, das Gesicht des langhaarigen Mannes von damals aufblitzen zu sehen. Aber nur, als das Licht gerade vorteilhaft auf ihn fiel. Ansonsten sah er wie der gruselige, bleichgesichtige Greis aus, der er ist. In die Jahre gekommene Rockstars buhlen ja bekanntlich noch stärker um die Aufmerksamkeit ihres Publikums als blutjunge Rockmusiker. Ozzy Osbourne ist da keine Ausnahme. Immer wieder fordert er das Publikum auf, lauter zu jubeln: „I can’t fucking hear you!“ Ist das ein Zeichen von beginnender Altersschwerhörigkeit? Oder nur Ausdruck seines grenzenlosen Aufmerksamkeitsbedürftnisses? Oder beides?

Die Rolling Stones beweisen dagegen in der Waldbühne, dass sie sich mit 70 noch nicht zur Ruhe setzen müssen. Mit ihrer Mumienroutine überraschen sie zwar keinen Fan mehr, der schon alle Tourneen seit den 80ern mitgemacht hat, aber vor allem die unter 30-Jährigen sehen mit Bewunderung und gleichzeitiger Verwunderung den wilden Tanzeinlagen eines superdünnen Mick Jagger zu. Und freuen sich über die alten Hits, als könnten sie damit jeden Generationsunterschied überwinden. Und dann ist da noch John Fogerty, der will gar nicht erst zeigen, dass er sich verändert hat. Er zelebriert im Hamburger Stadtpark einen naiven Jugendkult und tut so, als wäre er wie damals. Warum sonst wirbt er für seine Tour in einem blauen Karohemd, das jenem zum Verwechseln ähnlich sieht, was er in den 70er Jahren trug? Nicht nur sein Gesicht scheint seit Jahrzehnten unverändert (angeblich ohne Botox), auch seine Stimme ist noch so hell, dass jeder der früheren Songs wie konserviert wirkt. Sind die alten Rockstars wirklich nur tragische Karikaturen der eigenen Person von vor mindestens 30 Jahren, wie der Cicero suggerierte? Oder zeigen Mick, Ozzy und Co nicht gerade, dass es viel cooler ist, nicht in Würde zu altern? In Würde altern, heißt doch nichts anderes, als sich mit dem eigenen Verfall abzufinden und das alles gar nicht so schlimm zu finden. Der ewige Glaube an die Jugend mag zwar absurd sein, aber er macht das Leben doch auch so viel spannender.

 

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