Kolumne

Der Berliner rennt überall hin…

neue nationalgalerie 2 klein

Über der Neuen Nationalgalerie steigen Lichtpolypen auf und die Massen strömen hin. Warum der Berliner jedes Event mitmacht – egal welches.

Es ist Samstag. Es ist Sommer. Traumtemperaturen und ärmelfreies Kleidchen auch noch am Abend, so kennt man es vor allem aus dem Italien-Urlaub. Aber manchmal ist eben auch in Berlin richtiger Sommer. Wie an diesem Samstag. Und was macht der Berliner? Er hat gehört, dass heute Abend der Nachthimmel bespielt werden soll. Ein „Sky Art Event“. Wenn der Berliner „Event“ hört, wird er neugierig. Er wittert die Chance, Teil einer besonderen, unwiederbringlichen Begebenheit zu werden. Wenn er noch dazu hört, dass der Eintritt frei ist, dann fällt ihm kein Argument mehr ein, nicht hinzugehen. Ja, er ist geradezu freudig erregt: Es wird etwas geboten in der Stadt und auch er ist eingeladen. Zwar gibt es Open-Air-Großereignisse wie Gallery Weekend oder Festival of Lights, aber Kunst-Spektakel sind in Berlin doch eher selten. Umso größer ist der Andrang, wenn mal etwas passiert. Tausende Schaulustige umrunden die Neue Nationalgalerie, kampieren auf Boden und Stufen, pilgern die Potsdamer Straße rauf und runter. Man staunt schon, wie viele Leute gekommen sind, um drei mit Luft aufgeblasene Sterne zu sehen, die sich auf dem Dach der Neuen Nationalgalerie heben und senken. Aber es sind ja auch nicht irgendwelche Sterne. Der kurz vor dem Event verstorbene Künstler Otto Piene hat sie erdacht. Wie die Tentakelarme eines Wasserpolypen räkeln sich die Lichtskulpturen in den Berliner Nachthimmel. Was an diesem Abend wieder mal auffällt: Die Menschenmenge berauscht sich hauptsächlich an sich selbst. Das Kunstwerk wird zur Kulisse für das kollektive Herumstehen der Gruppen. Das ist die positive Seite der Masse: Sie stiftet eine Art Freude und Zusammengehörigkeit. Der Einzelne wird Teil des Großereignisses, der Einsame ist unter Leuten.

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Lifestyle

Sauft nicht unseren Champagner!

Ein Schweizer Start-up-Unternehmen hatte kürzlich eine App erfunden, die Promis bei großen Veranstaltungen vor ungeladenen Partygängern schützt. „Zkipster“ heißt der Spaßverderber für die einen und Exklusivitätsgarant für die anderen. Die App kann symbolisch für die ganze Schweiz gelesen werden: sie möchte unter sich bleiben. Die Botschaft ist klar: Keine ungebetenen Gäste, bitte, die unseren Champagner wegsaufen. Start-up-Unternehmer aus Berlin hätten dagegen eher eine App erfunden, mit der man Promipartys leichter ausfindig machen und sich noch effektiver dazu schleichen kann. In Berlin nimmt man Exklusivität ja nicht so ernst. Alle sollen Spaß haben dürfen. Was zum Beispiel in Hamburg, München oder Zürich undenkbar erscheint, ist in Berlin oft möglich: sich ohne Einladung auf eine Party zu schmuggeln.

 

 

 

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Stil

Adam und Steve

Viktor und Rolf

Sind zwar kein Paar, sehen aber so aus: Die Designer Viktor & Rolf

Warum schwule Partner im gleichen Look auftreten.

Neulich beim Essen mit meinem befreundeten schwulen Ehepaar in Berlin Mitte. Adam mit rosa kariertem Hemd und schwarzem Blazer, dazu schwarz geränderte Mitte-Nerd-Brille. Sein fünfzehn Jahre jüngerer Gatte Steve unterscheidet sich von ihm nur durch ein weißes, statt einem schwarz gepunkteten Einstecktuch: Tom Ford. Wie auch die Brille. Mein Kompliment, toller Auftritt! “Ja, wir waren neulich im Quartier 206 bei unserem Paolo. Der steckte uns die Tücher einfach hier so rein. Wir waren total hilflos.“ Steve steckt einen Finger in den Mund und setzt den Lolita-Blick auf. Großes Gelächter, verständnisvoller Blick meinerseits. Ihr Armen! Adam und Steve sind jetzt schon seit drei Jahren verheiratet, die französische Bulldogge Céline ist ihr Kind. Wenn ich nicht wüsste, dass sie ein Paar sind, ich hielte sie für Brüder, denen Mutti aus pragmatischen Erwägungen die gleichen Sachen kauft. Nein, sie sehen nur wie Brüder aus. Ein Phänomen, das man öfters in Berlin beobachten kann. Zwei Lederschwule in der Motzstraße, zwei Händchen haltende Yves-Saint-Laurent-Kopien in der Friedrichstraße, zwei rauchende Cowboys im KitKatClub. Die Adams und Steves dieser Stadt.

Ein besseres Statement, um zu zeigen, dass man zusammengehört, gibt es nicht. Der Partnerlook gibt jedem unmissverständlich zu verstehen, dass man neben dem Bett auch noch den Kleiderschrank teilt. Sie geben damit ein Signal an die Öffentlichkeit. Schaut mal, wir sind wirklich ein Herz und eine Seele. Wir sind eins. Eine sehr romantische Vorstellung. Und Schwule sind ja bekanntlich große Romantiker. Verfechter einer heilen Welt, in der Opern und Torten und Diven und Hunde vorkommen. Bekannte schwule Künstler und Designer leben den Partnerlook vor. Viktor und Rolf zum Beispiel. Die sehen aus wie Zwillinge. Ziehen immer das Gleiche an. Sie wollen natürlich, dass dieser Eindruck entsteht. Penibel achten sie darauf, dass ihre Accessoires genau aufeinander abgestimmt sind. Heute ist das ihr Markenzeichen. Sie sind kein Paar und inszenieren sich doch als solches. Oder Elton John und sein Ehemann David Furnish, die gerne mal zusammen mit gleicher Spaßbrille auf Veranstaltungen auftauchen. Die Inszenierung funktioniert. Zwillinge sind immer ein Hingucker.

 

 

 

 

 

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Lifestyle

Ich bin ganz lieb.

Sind Oldtimer-Fahrer bessere Menschen? Zumindest werden sie seltener angepöbelt.

Nirgendwo benehmen sich die Leute rüder als im Straßenverkehr, nirgendwo wird mehr geschrien und geflucht (außer vielleicht noch im Fußball-Stadion). Eigentlich macht es gar keinen Spaß in Berlin Auto zu fahren. Es gibt aber zwei Ausnahmen. Im Cabrio oder noch besser: im Oldtimer. Neulich fuhr ich in der Déesse eines Freundes auf dem Beifahrersitz mit. Sitze wie ein bequemes Ledersofa, kein Sicherheitsgurt. Es war ein schönes Fahrgefühl. Und vor allem: wohlwollende Blicke von allen Seiten. Ein Mann im Cabrio schaut an der Ampel lächelnd herüber, Fußgänger zeigen auf uns, zwei junge Typen johlen uns aus ihrem aufgepimpten Wagen entgegen. Für den Freund nichts Neues. Die Aufmerksamkeit muss man aushalten können, unbemerkt bleibt er mit seiner DS 23 Pallas von 1973 nicht. Manchmal kleben sogar Liebesbriefe unter den Scheibenwischern, wenn er vom Einkauf wiederkommt.

Ja, Oldtimer sind sympathische Automobile. Man schaut sie gerne an. Als Zeugen einer nostalgischen Vergangenheit werden sie bewundert. Ihre Sympathie färbt dabei auf diejenigen ab, die sie fahren. Wer in so einem Auto sitzt, denkt man, ist bestimmt charmant, hat Stil, jagt nicht nur Trends hinterher. Der kann kein schlechter Mensch sein. Nicht so ein Macho mit dem neuesten 6er BMW, der dem Fahrradfahrer, den er umfährt, noch den Stinkefinger zeigt. Und so gut, wie man über Oldtimer denkt, werden sie auch im Straßenverkehr behandelt: Keine Probleme in die Spur reingelassen zu werden, kein aggressives Angehupe, kein arrogantes Aufgefahre, keine Wutgestikulationen aus dem überholenden Auto. Selbst übel weggedrängte Fahrradfahrer vergessen im Anblick des liebenswerten, alten Gefährtes, weswegen sie wütend waren. Die begonnene Schimpferei endet im Kompliment: „Tolles Auto übrigens!“ Oldtimer sind keinesfalls nur Geldanlage. Viel wichtiger: Sie sind Kommunikationshilfe für ihre Besitzer und elegantes Schutzschild gegen die Aggressionen der Umwelt. Leute halten sich Hunde, um mit anderen leichter ins Gespräch zu kommen, Leute eröffnen Galerien, weil sie Freunde und Geselligkeit suchen. Oldtimer-Fahrer wollen, so wie wir alle, geliebt werden.

 

 

 

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Stil

„I can’t fucking hear you!“

Wie altern Rockstars? Drei Open-Air-Konzerte dieses Frühsommers geben eine Antwort darauf.

Kürzlich rief das Magazin Cicero den letzten großen Sommer des Rock’n’Roll aus. Auf dem Titelblatt der Juni-Ausgabe erschienen Ozzy Osbourne und Mick Jagger als Grimassen schneidende alte Männer. Alt sind sie, keine Frage. Aber wie gehen sie damit um? Dass Totgeglaubte wieder auftreten können, das weiß man spätestens seit dem Konzert von Black Sabbath in der Wuhlheide vergangenes Pfingsten. Ozzy Osbourne lebt noch. Oder besser: Er ist wiederauferstanden. Und die Freude darüber kann selbst seine düstere Schminke nicht verbergen. Er hat die Zuwendung des Publikums, die vielen ausgestreckten Hände, den Ruf der Masse vermisst. Wer alte Bilder vom jungen Ozzy kennt, hatte kurz das Gefühl, das Gesicht des langhaarigen Mannes von damals aufblitzen zu sehen. Aber nur, als das Licht gerade vorteilhaft auf ihn fiel. Ansonsten sah er wie der gruselige, bleichgesichtige Greis aus, der er ist. In die Jahre gekommene Rockstars buhlen ja bekanntlich noch stärker um die Aufmerksamkeit ihres Publikums als blutjunge Rockmusiker. Ozzy Osbourne ist da keine Ausnahme. Immer wieder fordert er das Publikum auf, lauter zu jubeln: „I can’t fucking hear you!“ Ist das ein Zeichen von beginnender Altersschwerhörigkeit? Oder nur Ausdruck seines grenzenlosen Aufmerksamkeitsbedürftnisses? Oder beides?

Die Rolling Stones beweisen dagegen in der Waldbühne, dass sie sich mit 70 noch nicht zur Ruhe setzen müssen. Mit ihrer Mumienroutine überraschen sie zwar keinen Fan mehr, der schon alle Tourneen seit den 80ern mitgemacht hat, aber vor allem die unter 30-Jährigen sehen mit Bewunderung und gleichzeitiger Verwunderung den wilden Tanzeinlagen eines superdünnen Mick Jagger zu. Und freuen sich über die alten Hits, als könnten sie damit jeden Generationsunterschied überwinden. Und dann ist da noch John Fogerty, der will gar nicht erst zeigen, dass er sich verändert hat. Er zelebriert im Hamburger Stadtpark einen naiven Jugendkult und tut so, als wäre er wie damals. Warum sonst wirbt er für seine Tour in einem blauen Karohemd, das jenem zum Verwechseln ähnlich sieht, was er in den 70er Jahren trug? Nicht nur sein Gesicht scheint seit Jahrzehnten unverändert (angeblich ohne Botox), auch seine Stimme ist noch so hell, dass jeder der früheren Songs wie konserviert wirkt. Sind die alten Rockstars wirklich nur tragische Karikaturen der eigenen Person von vor mindestens 30 Jahren, wie der Cicero suggerierte? Oder zeigen Mick, Ozzy und Co nicht gerade, dass es viel cooler ist, nicht in Würde zu altern? In Würde altern, heißt doch nichts anderes, als sich mit dem eigenen Verfall abzufinden und das alles gar nicht so schlimm zu finden. Der ewige Glaube an die Jugend mag zwar absurd sein, aber er macht das Leben doch auch so viel spannender.

 

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Lifestyle

„Sogar die Blätter schienen zu uns zu sprechen.“

Sieht aus wie in Italien, ist aber ganz nah: Park und Anwesen von Gut Suckow in der Uckermark.

Verliebte müssen jetzt raus, in die Weite, in die Natur, irgendwohin, wo es nur sie und die einsame Landschaft und Seen und Wildblumen gibt. Sie müssen Cabrio fahren, Händchen haltend über Wiesen rennen, sich ins Gras werfen, Rehen nachschauen, nackt in einen See springen und all die Klischees nachleben, die nur im Sommer möglich sind. Romantische Klischees werden ja bekanntlich nur von denen belächelt, die sie selbst noch nicht erlebt haben. Wer sie erlebt hat, weiß: Sie sind wahr und wunderschön. Verliebte müssen in die Uckermark. Nach Gut Suckow. Der einstige Adelssitz ist heute ein romantisches Hideaway mit eigenem Park, See und Badehaus. Hier ließ es sich bis 1945 die Hauptlinie der weit verzweigten Familie der von Arnims gut gehen. Den Park im italienischen Stil schätze so mancher Gast zum Spazierengehen. Katharine Clemens, eine Verwandte der Familie, schwärmte in ihrer Autobiographie „gardens und books“ von dem Uckermärkischen Kleinod:

„Unsere Tage dort waren einfach wundervoll. Sogar die Blätter schienen zu uns zu sprechen und der schwache Duft der Waldblumen kam durch die Fenster wie eine ständige Aufforderung hinauszukommen.“

Manchmal hat man den ganzen Barockpark für sich: Gut Suckow in der Uckermark

Manchmal hat man den ganzen Barockpark für sich: Gut Suckow in der Uckermark

http://www.gut-suckow.de/

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Kolumne

Die Entdeckung des Monats

schule der trunkenheit

Mehr als zehn Jahre Erfahrung und jede Menge Geschichten

Die Schule der Trunkenheit: Das etwas andere Barbuch der Victoria Bar

Der Mensch denkt gerne nach, aber noch viel lieber berauscht er sich. Selbst Mönche sind da keine Ausnahme. Gott schuf den Menschen zu seinem Vergnügen und der schuf den Alkohol. Der brachte ihm Vergnügen und, wie bei allen Sachen im Leben, auch Leid. Der Grad zwischen Betrunkenheit und Hochstimmung ist bekanntlich oft sehr schmal. Trunkenheit will gelernt sein. Das ist die Botschaft der Victoria Bar. Wer gerne gute Cocktails trinkt, wird die Bar in der Potsdamer Straße kennen. Nicht wenige sind an ihrem Tresen schon versackt, weil es so gemütlich war. Seit die Victoria Bar 2001 in einer der damals abgefucktesten Berliner Ecken aufmachte, zählt sie zu den besten Bars Berlins. Mit Spirituosen kennen sich die Barkeeper aus. Aber alle Geheimnisse wollten sie nicht für sich behalten. Das Victoria-Bar-Team um Kerstin Ehmer, Stefan Weber, Beate Hindermann und Gonçalo de Sousa Monteiro erdachte deshalb 2003 die „Schule der Trunkenheit“. Zum Star-Barkeeper wird man durch die Veranstaltungsreihe nicht gleich, aber über Gin, Wodka, Whiskey und Co. wird man danach einiges zu erzählen haben. So vielfältig wie die Spirituosen und Drinks sind nämlich auch die Geschichten ihrer Entstehung. Zu Hause kann man alles im gleichnamigen Buch nachlesen. Wie komplex die Geschichte des Alkohols wirklich ist, hat Kerstin Ehmer, eine der Autoren, bei der Recherche schnell gemerkt: „Alkohol wird in der offiziellen Geschichtsschreibung oft ausgespart, das macht die Recherche mühsam. Alkohol und Kultur und Entwicklung sind tatsächlich sehr stark miteinander verzahnt.“ Die meisten Bar-Bücher sind Rezeptbücher. Dass es weder reines Handbuch noch Fachbuch ist, das macht diese „Kurze Geschichte des gepflegten Genießens“ so besonders.

Gepflegt ging es in der Geschichte des Alkoholkonsums jedoch nicht immer zu. Die Erfolgsgeschichte des Alkohols erklärt sich vor allem auch daher, dass „ernsthaftes Trinken“ den wenigsten ein Begriff war. Es ist eine Geschichte von Besäufnissen ganzer Volksschichten, Manipulationen und tragischen Karrieren, die im Rausch untergingen. Auch Piraten und Matrosen sahen im Alkohol wohl weniger ein Genuss- als vielmehr ein Nahrungsmittel. Seriöse Trinker und Bar-Dandys kommen in der Geschichte natürlich auch vor. Ohne die Anekdoten über die skurrilen Allüren und Trinkgewohnheiten der ein oder anderen Berühmtheit wäre das alles auch nur halb so lustig. Luis Buñuel zum Beispiel, ein klassischer Martini-Trinker, hatte als notorischer Außenseiter seine ganz eigenen Ansprüche an eine gute Trinkatmosphäre. Nicht „Schule der Trunkenheit“ sollte eine Bar sein, sondern eine Schule der Einsamkeit. Sie muss möglichst düster, sehr bequem und vor allem ruhig sein. Jede Musik, auch die Entfernteste, ist verpönt… Höchstens ein Dutzend Tische, möglichst nur Stammgäste, und zwar wenig gesprächige.“ Ob ihm die Victoria Bar gefallen hätte, wissen wir nicht, aber ruhig und einsam geht es da selten zu.

Die Schule der Trunkenheit. Eine kurze Geschichte des gepflegten Genießens, Metrolit Verlag, erschien September 2013. Das Buch ist für 20,- Euro am Tresen der Victoria Bar erhältlich: Potsdamer Straße 102, Berlin. Das neue Spirituosen-Semester beginnt im Oktober: http://www.victoriabar.de

 

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Kunst

Auch dieses Maiskorn ist nicht für ewig.

bunker popcorn

Was uns eine Popcornmaschine in Boros Bunker über die Vergänglichkeit erzählt.

Erinnern Sie sich noch an das Märchen vom süßen Brei der Gebrüder Grimm? Da lässt ein Mädchen einen magischen Kochtopf alleine, der nicht aufhört, süßen Brei zu produzieren, bis die ganze Wohnung überquellt. Was passiert, wenn man eine Popcornmaschine alleine zurücklässt, ohne sie auszustellen, kann man derzeit in einem der Räume in Boros Bunker beobachten. Dort liegen all die gepufften Maiskörner, die sie seit September 2012 hervorgebracht hat. Die gelbe Masse hat sich schon weit in den Raum vorgearbeitet. Die untersten Körner hat die Zeit schon zerrieben. Am Anfang ist die Maschine noch heiß gelaufen. Jetzt hat sie sich aber an das monotone Produzieren gewöhnt. Auch dank gelegentlicher Ruhephasen. Als wir den Raum betreten, macht die Maschine gerade Pause, kein Ploppen, nur der alles durchdringende Geruch von geröstetem Mais. Besonders die jüngeren Besucher sind fasziniert. So viel Popcorn fasst nicht mal ihre Jumbo-Tüte im Cinemax. Ein bisschen erinnert der Raum an Dagobert Ducks Geldspeicher, wo die reiche Ente den Ausdruck „Schwimmen in Geld“ regelmäßig in die Tat umsetzte. Ist die Popcornmaschine eine Metapher der Überflussgesellschaft? Der maßlosen Übertreibung? Oder der Vergänglichkeit? Der Künstler Michael Sailstorfer, der sie erdachte, sagte mal, er möchte veränderliche Skulpturen schaffen. Die Popcornmaschine ist eine Art Experiment. Das Experiment einer sich unkontrolliert reproduzierenden Kunst, die sich am Ende selbst konsumiert.

Führung buchen auf: http://www.sammlung-boros.de

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Kunst

Das da drüben ist bestimmt auch Kunst!

Zollstock Sammlung Haubrock

Hätte man beinahe übersehen: Der Zollstock von Andreas Slominski auf der Fensterbank

Warum ein Zollstock in der Sammlung Haubrok herumliegt.

Dass man Kunstgeschichte studiert hat, merkt man, wenn man einen Zollstock auf der Fensterbank einer Galerie liegen sieht und denkt: Das gehört bestimmt mit zur Ausstellung. Jeder andere hätte gedacht: Komisch, irgendjemand hat seinen Zollstock hier vergessen. Und diese Reaktion kann man vollkommen nachvollziehen. Der Zollstock steht nicht auf einem Sockel, er hängt nicht an der Wand, er liegt einfach nur rum. Warum sollte er Kunst sein? Als Kunsthistoriker ist man abgeklärter. Viel Unverständliches, Banales, Absurdes, Unauffälliges haben Künstler schon hervorgebracht. Und man weiß: Dass Industrieerzeugnisse, Fundstücke, banale Alltagsobjekte in den Rang von Kunstwerken aufsteigen und sogar ausgestellt werden, ist möglich. Seit jemand mal auf die Idee kam, ein Pissoirbecken um 90 Grad gekippt liegend zu präsentieren und entschied, dass es nicht länger ein Urinal sei und damit Erfolg hatte. Er nannte es „Foutain“ und „Readymade“. Der Gedanke, der dahinter steckte: Ein unveränderter Alltagsgegenstand wird allein durch die Auswahl des Künstlers und die Umbenennung zu dem, was er ist: zum autonomen Werk. Marcel Duchamp hieß der Typ, der die Idee hatte. Er wurde damit zu einem der einflussreichsten Künstler des 20. Jahrhunderts. Wegen ihm liegt heute dieser Zollstock des Künstlers Andreas Slominski in der Sammlung Haubrok herum. Wegen ihm gehen heute Künstler in den Baumarkt und können ihre Beute in Ausstellungen zeigen, ohne ausgelacht zu werden.

Die Sammlung Haubrok, in der „Fahrbereitschaft“, Herzbergstraße 40/43 Berlin-Lichtenberg

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Schnappschuss

Auf dieser Wiese chillt ganz Mitte

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Gäbe es den Weinbergspark nicht, müssten die Mitte-Leute in den Tiergarten radeln.

Es ist ein Sommer-Phänomen: Der Weinbergspark, eingeklemmt zwischen Brunnenstraße, Veteranenstraße und Weinbergsweg, füllt sich mit gut aussehenden, alternativen, jungen Menschen. Ein Bier oder ein Buch in der Hand, Jungs mit entblößtem Oberkörper, Gruppen von vier oder fünf Spaniern, junge, sorgenlose Familien. Dazwischen läuft dann und wann ein Bettler mit Tüte herum und lässt sich leer getrunkene Flaschen reichen. Es ist eine besonders gute Lage: Die Nachmittagssonne bescheint ungehindert dieses grüne Fleckchen. Es ist dazu noch der einzig richtige Park in der Gegend. Zwischen all dem rauen, alten, besprayten, renovierten, gehypten Beton, dem Asphalt, den Läden. Ein wahrer Sonnenhang. Nicht zu groß, um noch ein Stückchen Intimität vorzugaukeln. Die Bäume schotten ihn vom Trubel der Torstraße ab.

In Berlin Mitte, dem Torstraßen-Mitte, gibt es von den wirklich wichtigen Dingen nur ganz wenige: es gibt den einen Ackerstraßen-Rewe, und es gibt den einen Park.

 

 

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