Warum Berlin sich zur Hauptstadt der Spaßfahrzeuge entwickelt.
In Venedig lässt man sich in einer Gondel durch die Kanäle schaukeln. In Wien wird man großzügig und sehr nostalgisch durch habsburgische Pracht gekutscht. In Amsterdam leiht man sich für Sightseeingtouren ein Fahrrad aus. In London steigt man klassisch in einen der roten Doppeldeckerbusse. Und was machen die Touristen in Berlin? Die fahren nicht mehr alle nur mit dem 200er Stadtbus oder einfach mit der U-Bahn. Besonders den vielen halbstarken Männertruppen, die in Berlin einen drauf machen wollen, sind die altbewährten Beförderungsmittel zu langweilig. Fahrende Biertheken erfreuen sich großer Beliebtheit bei Männergruppen, die wohl der Auffassung sind, dass Reichstag, Brandenburger Tor und Co. im betrunkenen Zustand interessanter aussehen. Wenn sie überhaupt dazu kommen, einen Blick darauf zu werfen. Offiziell heißen diese privaten Kneipen auf vier Rädern „Bierbikes“. Schließlich müssen die Beteiligten das Gefährt durch selbstständiges Treten am Laufen halten. Von sportlicher oder kultureller Betätigung kann aber trotzdem nicht die Rede sein. Nach Etablierung der Bierbikes hatte es nicht lange gedauert, dann kam ein anderer Betreiber darauf, dass sich Seifenkisten-Kolonnen auf den breiten Berliner Boulevards auch gut machen würden. So wundert sich derzeit so mancher Autofahrer, was die kleinen Verkehrshindernisse auf den Straßen zu suchen haben. Aber wo sollten sie auch sonst fahren? Die Fahrradwege werden schließlich schon von Segways, Rikschas, Fahrrädern (ja auch denen) und Schulklassen eingenommen. Doch das ist längst nicht alles, das dem Spaßtouristen geboten wird. Die ganz Bräsigen, die nicht mal mehr Bier trinken wollen, können sich, unter eine Bettdecke gekuschelt, durch Berlin fahren lassen. In einem Bett liegend. Das nennt sich dann „Berlin horizontal“. Diejenigen, die sich jetzt wild fummelnde Pärchen auf vier Rädern vorstellen, werden leider enttäuscht. Es sind ja doch nur faule Touristen, die denken, dass es eine besonders originelle Idee sei, eine Stadt im Liegen zu entdecken. Auch die prolligen Stretchlimousinen, die hier und da den Corso auf- und abfahren, beeindrucken keinen mehr. Als ob man nicht wüsste, dass hinter den getönten Scheiben nichts weiter als ein lärmender Junggesellenpulk sitzt. Nicht auszudenken, wozu sich Leute noch hinreißen lassen werden. Espresso-Bikes, Barbecue-Bikes, Sex-Bikes, alles scheint möglich.
Wo führt dieser Spaßtourismus hin? Übertreibt es Berlin mit seiner unlimitierten Spaßtoleranz? Wollte die Stadt nicht irgendwann mal sexy sein? Berlin hat ganz offensichtlich ein Problem: Die Stadt möchte von allen gemocht werden und weist keinen wirklich zurück. Etikette gibt es nicht, vor allem nicht für Touristen. Wer möchte schon als Spaßverderber abgestempelt werden? Berlin nicht. Die Stärke der Stadt, mit allem Neuen, mit jeglichem Eindringen von außen lässig umzugehen, ist auch ihre Schwäche. Sie ist der Nährboden für Verrücktes, Abartiges, Prolliges, Ungewöhnliches. Viele Touristen kommen nach Berlin, um endlich mal die Sau raus zu lassen. Hier machen sie das, was sie sich in ihrer Provinzheimat nicht trauen: sich daneben benehmen, wild und ausgelassen sein, sich anders anziehen und provozieren. Das ist leider alles andere als sexy.