Kolumne

Busse sind Berlin- Touris zu langweilig.

Hauptsache, es ist genug Bier da: Bierbike in Berlin (by Amy Dianna flickr.com)

Hauptsache, es ist genug Bier da: Bierbike in Berlin (by Amy Dianna flickr.com)

Warum Berlin sich zur Hauptstadt der Spaßfahrzeuge entwickelt.

In Venedig lässt man sich in einer Gondel durch die Kanäle schaukeln. In Wien wird man großzügig und sehr nostalgisch durch habsburgische Pracht gekutscht. In Amsterdam leiht man sich für Sightseeingtouren ein Fahrrad aus. In London steigt man klassisch in einen der roten Doppeldeckerbusse. Und was machen die Touristen in Berlin? Die fahren nicht mehr alle nur mit dem 200er Stadtbus oder einfach mit der U-Bahn. Besonders den vielen halbstarken Männertruppen, die in Berlin einen drauf machen wollen, sind die altbewährten Beförderungsmittel zu langweilig. Fahrende Biertheken erfreuen sich großer Beliebtheit bei Männergruppen, die wohl der Auffassung sind, dass Reichstag, Brandenburger Tor und Co. im betrunkenen Zustand interessanter aussehen. Wenn sie überhaupt dazu kommen, einen Blick darauf zu werfen. Offiziell heißen diese privaten Kneipen auf vier Rädern „Bierbikes“. Schließlich müssen die Beteiligten das Gefährt durch selbstständiges Treten am Laufen halten. Von sportlicher oder kultureller Betätigung kann aber trotzdem nicht die Rede sein. Nach Etablierung der Bierbikes hatte es nicht lange gedauert, dann kam ein anderer Betreiber darauf, dass sich Seifenkisten-Kolonnen auf den breiten Berliner Boulevards auch gut machen würden. So wundert sich derzeit so mancher Autofahrer, was die kleinen Verkehrshindernisse auf den Straßen zu suchen haben. Aber wo sollten sie auch sonst fahren? Die Fahrradwege werden schließlich schon von Segways, Rikschas, Fahrrädern (ja auch denen) und Schulklassen eingenommen. Doch das ist längst nicht alles, das dem Spaßtouristen geboten wird. Die ganz Bräsigen, die nicht mal mehr Bier trinken wollen, können sich, unter eine Bettdecke gekuschelt, durch Berlin fahren lassen. In einem Bett liegend. Das nennt sich dann „Berlin horizontal“. Diejenigen, die sich jetzt wild fummelnde Pärchen auf vier Rädern vorstellen, werden leider enttäuscht. Es sind ja doch nur faule Touristen, die denken, dass es eine besonders originelle Idee sei, eine Stadt im Liegen zu entdecken. Auch die prolligen Stretchlimousinen, die hier und da den Corso auf- und abfahren, beeindrucken keinen mehr. Als ob man nicht wüsste, dass hinter den getönten Scheiben nichts weiter als ein lärmender Junggesellenpulk sitzt. Nicht auszudenken, wozu sich Leute noch hinreißen lassen werden. Espresso-Bikes, Barbecue-Bikes, Sex-Bikes, alles scheint möglich.

Wo führt dieser Spaßtourismus hin? Übertreibt es Berlin mit seiner unlimitierten Spaßtoleranz? Wollte die Stadt nicht irgendwann mal sexy sein? Berlin hat ganz offensichtlich ein Problem: Die Stadt möchte von allen gemocht werden und weist keinen wirklich zurück. Etikette gibt es nicht, vor allem nicht für Touristen. Wer möchte schon als Spaßverderber abgestempelt werden? Berlin nicht. Die Stärke der Stadt, mit allem Neuen, mit jeglichem Eindringen von außen lässig umzugehen, ist auch ihre Schwäche. Sie ist der Nährboden für Verrücktes, Abartiges, Prolliges, Ungewöhnliches. Viele Touristen kommen nach Berlin, um endlich mal die Sau raus zu lassen. Hier machen sie das, was sie sich in ihrer Provinzheimat nicht trauen: sich daneben benehmen, wild und ausgelassen sein, sich anders anziehen und provozieren. Das ist leider alles andere als sexy.

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Kunst

Jahrmarktszauber

Neonlicht, Büdchen und ein Goldfisch im Edelsteinbehälter: Die Berliner Kunstmesse abc präsentiert sich als bunte Zirkusnummer.

Neon scheint ja jetzt schwer angesagt zu sein. Das wird dem Besucher der abc Kunstmesse in der Station am Gleisdreieck dieses Jahr schon am Eingang klar. Am Dach des früheren Bahnhofs sind allerlei Neon-Comicfigürchen angebracht. Als Dekoration ist das ja ganz witzig. Aber auch im Inneren haben die Künstler bei ihren Werken nicht am Neonlicht gespart. Es ist eben ein gutes Mittel, um die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Auch auf etwas, das eher mittelmäßig ist. Es ist ein besonders grelles Licht und die Augen können sich nicht wehren. Wie bei Leuchtreklame. Die Frage, warum man jedoch jeden x-beliebigen, uninspirierten Satz gleich als Neonschrift an die Wände bringen muss, weil man denkt, in Neon wäre er originell und Kunst, stellt sich unweigerlich. Nach einem kurzen Rundgang durch die abc, die sich selbst als Plattform für internationale Galerien und Künstler sieht, wird klar: Viele der ausgestellten Werke sind vor allem auf schnelle Konsumierbarkeit hin angelegt. Zum längeren Sinnieren wird man erst gar nicht verleitet. Man soll nicht über die Kunstobjekte nachdenken, man soll in sie hineinspazieren wie in ein Zirkuszelt, man soll in sie hineingucken und staunen wie in einer Wunderkammer. Gleich in der Eingangshalle steht eine Box. Aus dem Inneren strahlt das blaue Licht der Neonröhren. Beim Herantreten entpuppt sich der Kasten als Ein-Mann-Bar. Die „Bar der Einsamkeit“, wie die Dame daneben erklärt. Während hier jedoch ein einsamer Trinker zum Begaffen fehlt, kann man an anderer Stelle in der Halle einem schwarz bemalten Wilden beim Herumsitzen in einer Art Jahrmarktsbude zuschauen. Das Innere des Büdchens nennt sich dann auch Mad Animal Room. Wer nun denkt, das wäre es mit der Attraktion gewesen, irrt. Mehr noch als der ungewaschene Wilde zieht ein anderes Arrangement den Blick der Besucher auf sich: Inmitten der ganzen bunten Kunst hängt ein Amethystdruse. Und weil ein Edelstein allein langweilig gewesen wäre, hat ihn der Künstler mit Wasser gefüllt und einen Goldfisch hineingesetzt.

http://www.artberlincontemporary.com/de/

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Kunst

Die Sonne ist ein Kreis.

Der Lichtkünstler Otto Piene versuchte, was sich 120 Jahre zuvor schon William Turner vorgenommen hatte: dem Licht eine Form zu geben.

Wer glaubt, dass die Kunst der 60er und 70er Jahre nur bunt und poppig war, irrt. Nicht alle Künstler haben kitschige Kaleidoskop-Orgien im LSD-Rausch hinterlassen. Otto Piene hat in jener Zeit ein verblüffend eigenständiges Oeuvre geschaffen. Es ist gleichsam düster und hell. Wer nur seine psychedelisch farbige Lichtshow in der Neuen Nationalgalerie gesehen hat, macht sich keine Vorstellung. Pienes künstlerisches Anliegen war alles andere als bescheiden. Er machte sich daran, nichts Geringeres als das Flüchtige, das Atmosphärische darzustellen: das Licht, das Feuer, das sich Verzehrende, das Züngeln, den Rauch. Doch scheint es nicht schwer vorstellbar, das Ephemere zu malen, gar zu modellieren? Wie kann ein Künstler etwas festhalten, dass nicht festzuhalten ist und welche Farbe gibt er ihm? Alles keine abwegigen Fragen.

piene red web

Wie Kinder das machen, ist jedem bekannt. Kinder malen ja gerne Regenbogen, weil sie dann so gut wie alle Farben verwenden können, die sie haben. Die Sonne ist bei ihnen ein gelber Kreis mit gelben Strichen oder Zacken. Wolken werden durch ihre Hände zu blauen Kissen. Sternschnuppen sind nichts weiter als ein Stern mit einem Stiel dran. Rauch erscheint als graue Schraffur auf dem Blatt oder als gewellte Linien. Kinder tun sich nicht schwer daran, den flüchtigen Dingen klar umrissene Formen zu geben. Seien wir ehrlich, würden wir den Auftrag kriegen, eine Sonne zu malen, würden wir sie auch als Kreis malen, als gelben Kreis. Aber es geht ja nicht um uns, sondern um Otto Piene. Der zeigte eine erstaunliche Kreativität, wenn es um die Darstellung der Elemente Luft, Feuer und Licht ging. Seine Rauch- und Feuerbilder erhalten ihre besondere Aura gerade durch die Einbeziehung dessen, was sie thematisieren: Öl und Ruß auf Leinwand. Öl, Feuer und Heu auf Leinwand. Indem Piene seine Bildträger ankokelte, kam er den Phänomenen der Sonne näher als der englische Maler William Turner um 1846 mit seinen Wasserfarben. Auf Pienes roten Sonnen scheint es tatsächlich zu brutzeln und zu züngeln.

otto piene lamp webDoch damit nicht genug. Bei seinen Lampen und Installationen geht das Experiment der Elemente weiter. Und stößt auch an seine Grenzen. Skulptur zwingt unweigerlich zur Abstraktion, Licht und Feuer werden in reduzierte Formen überführt. Pienes changierende Lampen regen weniger zu philosophischen Gedanken über das Ephemere an, man hält sie vielmehr für formidable Einrichtungselemente. Da muss man heute schon länger suchen, um ähnliche Schmuckstücke zu finden. Pienes Weißer Lichtgeist von 1966 erinnert an Brancusis Colonne sans fin. Und an die Lavalampen, die in den 70ern so beliebt waren. An eine High-Class-Variante der Lavalampen. Bannt Piene noch das Licht bei seinen Lampen in feste Formen, so lässt er ihm bei seinen lichtkinetischen Arbeiten freien Raum. In der dunklen Kammer am Ende der Ausstellung wird man Zeuge einer fast kosmischen Schau. Lichtteilchen entstehen, verbinden sich mit anderen, vergehen, spermienartige Gebilde schweben umher. Eine Art Ursuppe. Otto Piene nannte es „Lichtballett“.

Otto Piene. More Sky, Kunsthalle Deutsche Bank, Unter den Linden 13/15, Berlin-Mitte, 10-20, bis 31.8.2014

 

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Stil

Man sieht damit aus, als müsse man keinem Brotberuf nachgehen.

Einsteckblumen sind Chichi von gestern. Das Knopfloch im Revers muss deswegen aber nicht leer bleiben …

In der Männerabteilung des Berliner Mode-Kaufhauses Quartier 206 steht eine Bonbonniere. Ihr Inhalt ist so leuchtend bunt, dass man sie nicht übersehen kann. Doch Süßigkeiten sind nicht darin. Sie ist angefüllt mit kleinen Schleifen, gepunktet, gestreift, mit Augen drauf. Die erste Reaktion der Frauen, die mit ihren Männern shoppen gehen und daran vorbeikommen, ist immer die gleiche, wie Store-Manager Italo Rossi erzählt: „Die Frauen sehen die, stürzen sich darauf und sagen: ‚Och, ist das süß.‘ Das ist ja keine Reaktion, die man typischerweise von einem Mann kennt.“ Stimmt. Dass Männer mal „Oh, ist das süß“ sagen, kommt doch eher selten vor. Schnell wird einem klar, dass vor allem die Frauen den Absatz der bunten Miniatur-Bow-Ties beflügeln. Das freut den jungen Designer Dennis Steinborn natürlich. Er hatte die kleinen Anstecker schließlich für beide Geschlechter erdacht. Zu bunten Sakkos passen die unifarbene Modelle, bei schlichten Sakkos setzen dagegen die bunten Schleifen Akzente. Mutige Männer kombinieren die kleinen Dinger zu Dennis‘ farbenfrohen Einstecktüchern. Die Krawatte oder Fliege sollte man dann aber weglassen und sich der weisen Worte Coco Chanels erinnern: „Zum Schluss eines weg.“ Es soll ja nicht zur Zirkusnummer werden. gepunktete einstecktücherHat die kleine Schleife das Zeug dazu, die neue Boutonnière, die verspielte, unernste Variante der Knopflochblume zu werden? Im 19. Jahrhundert diente die Boutonnière dem Dandy noch als Ausdruck seines Müßiggangs und war extrem schick. Oscar Wilde kombinierte Blume im Reversknopfloch mit Einstecktuch. Heute gilt sie als lächerlicher Putz modischer Nostalgiker. Abgesehen davon, dass die meisten Männer keine Lust mehr haben, den Aufwand mit Blumenbehälter und Wässerchen zu betreiben. Accessoires für modebewusste Männer müssen heute einfach zu handhaben sein, spontan, individuell und auch ein bisschen schrill. Die neue Generation Dandy experimentiert mit Einstecktüchern, Fliegen und auffälligen Ansteckern. Und sieht damit auch weiterhin so aus, als müsse sie keinem Brotberuf nachgehen. Berliner Designer wie Dennis Steinborn interpretieren gerade den Reversschmuck neu. Oder Christoph Tophinke: In seinem Berliner Laden mit dem Oldschool-Namen Chelsea Farmers Club gibt es gehäkelte Minitaturblumen für’s Reversknopfloch. Klingt auch sehr oldschool, kommt aber gut an. Es gibt schon eine große Fangemeinde, die seine Häkelblumen trägt. Männliche Leser, die jetzt denken, ich sehe mit dem einen wie dem anderen schwul aus, werden sich wundern, wenn ihnen ihre Freundin demnächst etwas ans Revers steckt.

http://www.14-03.de

http://www.chelseafarmersclub.de

Departmentstore Quartier 206, Friedrichstraße 71, Berlin-Mitte

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Stil

„Mein Vater trägt jetzt auch meine Einstecktücher.“

Dennis Steinborn suchte Einstecktücher, die zu seinen bunten Socken passen sollten und fand keine. Also entwarf er selbst welche.

Modeaffe: Herr Steinborn, Ihre Einstecktücher sind immer zweifarbig, immer rund und nie aus Seide. Warum?

Dennis Steinborn: Das Problem, das bestimmt neun von zehn Männern haben, ist, dass ihr Einstecktuch verrutscht. Oder man hat zuviel Stoff. Meine Tücher kann man vielfältig falten, die Form bleibt und die Farben kann man variieren. Ich habe kein einziges Seidentuch. Wenn man nicht gerade Smoking trägt, passt Seide nicht oft.

Modeaffe: Was empfehlen Sie Männern, die sich eigentlich nicht so viel trauen, aber nicht als modische Langweiler dastehen wollen?

Dennis Steinborn: Männer, die nicht so mutig sind, können schlichtere Farben wählen. Oder sie tragen erst mal eines von beidem, Einstecktuch oder Miniatur-Schleife. Das Tolle an meinen kleinen Bow-Ties ist ja, dass man sie jederzeit wieder abpinnen kann. Aber die Männer trauen sich generell mehr. Mein Vater trägt jetzt auch meine Einstecktücher, obwohl er gar nicht so modisch ist, und er bekommt viele Komplimente.

Modeaffe: Was ist too much? Machen bunte Schleifen, Socken und Einstecktuch nicht aus jedem Mann gleich einen schwulen Dandy?

Dennis Steinborn: Die Männermode hat viel mehr Liebe zum Detail gefunden. Schrille Knöpfe, andere Schnitte, bunte Socken. Jeder, der sich’s zutraut, soll es auch tragen. Gerade jüngere Männer können es schon extravaganter tragen und nicht so bieder.

Wo man Dennis Steinborns Accessoires bekommt:

www.14-03.de

14 oz. Store im Haus Cumberland, Kurfürstendamm 194, Berlin-Charlottenburg

Departmentstore Quartier 206, Friedrichstraße 71, Berlin-Mitte

The Store im Bikini-Haus, 1.Etage, Budapester Straße 50, Berlin

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Kunst

Kein Dienst nach Vorschrift: Manfred Carpentier zum 60.

Manfred Carpentier by Jan Sobottka

Manfred Carpentier und Heiner Müller © Jan Sobottka

Er wäre wohl heute nicht unter uns, wenn sein Ur-Ur-Ur-Großvater nicht dem Hugenotten-Gemetzel in der Pariser Bartholomäusnacht entkommen wäre. Auch hat er keine ausufernden Drogenexperimente in den 70ern und 80ern mitgemacht und keine Frau so unglücklich geliebt, dass er sich ihretwegen hätte umbringen müssen. Den 60. Geburtstag erleben zu dürfen, heißt auch, Beständigkeit und Normalität als Gerüst des Lebens zu akzeptieren. Und natürlich die Maxime umzusetzen, der zu werden, der man sein will. Und nur der.

Manfred Carpentier wurde am 7. August 1954 in Gerolstein geboren. So schön das gute Quellwasser auch gewesen sein mag, der Ort in der Eifel band den jungen Manfred nicht lange an sich. Nach den Strapazen der Gymnasialzeit in Leverkusen (die Adoleszenz endet grundsätzlich im Trauma oder der Rebellion) machte er sich Anfang der 70er Jahre nach Berlin auf. Dass seine erste Studentenbude damals im Wedding karg und abgefuckt war, wird keinen überraschen. Auch heute noch hausen die meisten Erstsemester in Löchern. (Das Schöne daran: man weiß, dass es nur besser werden kann.) Wohnungstechnisch wurde es dann auch stetig besser. Vom Wedding nach Kreuzberg, später Zehlendorf, und nun in Wilmersdorf, in der Meinekestraße 12A-13. Gründerzeitbau um 1902. Wie Manfred das wurde, was er heute ist, hätte so manche Zigeunerhexe vielleicht schon damals in seinen Handlinien lesen können, aber so klar war es zu seiner Studentenzeit noch nicht. Zeit, sich seinem Germanistikstudium zu widmen, fand er nicht immer (Berlin ist eigentlich keine gute Stadt, um zu studieren, zu viele Möglichkeiten der Zerstreuung). Um Geld zu verdienen, wurde er zum Nachtwächter und kontrollierte gewissenhaft West-Berliner Tür und Tor. Er half bei kleineren Aufbauarbeiten in Berlins damals heißesten Rockschuppen, dem Quartier Latin in der Potsdamer Straße, oder verdiente kleines Geld als Kurier dazu. Doch Manfred hatte auch künstlerische Ambitionen: Er malte, schrieb Romane und Gedichte. Bald jedoch wurde dem tatkräftigen, jungen Mann klar, dass er sich besser um einen beständigen, sicheren Beruf bemühen sollte. Er studierte noch einmal- diesmal richtig- und wurde Diplom-Bibliothekar. Den Beamten-Status steckte er in die Tasche. Nach einem kurzen Intermezzo als Manager des Potsdamer Golfclubs erhielt er Mitte der 90er Jahre eine feste Stelle beim Landesarchiv Berlin. Die Liebe zur Kunst bewahrte er sich weiterhin.

Dass es nie zu spät ist, seine Träume zu verwirklichen, bewies Manfred 2010, als er seine Privatgalerie, seinen „Raum für Kunst“, eröffnete. Tagsüber ging er seinem Brotberuf nach und organisierte den Galeriebetrieb in seiner Freizeit. Dass er auch da wohnt, wo er seine Galerie hat, mag ungewöhnlich sein. Doch: Er lebt die Galerie buchstäblich. Die Gäste fühlen sich auch deshalb so wohl bei ihm, weil es etwas Privates hat. Die Grenzen sind fließend, auch für seine Besucher. Sie könnten sich theoretisch in sein Bett legen. Manfreds Privatgalerie ist ein Ort der Geselligkeit, der ausgelassenen Gespräche. Gern wird hier auch mal über den Durst getrunken. Einfach weil es so gemütlich ist. Die gängigen Öffnungszeiten Berliner Vernissagen werden hier grundsätzlich missachtet. Alte West-Berliner Grand Dames treffen auf Fotografen, Lebenskünstler und Leute, die seriösen Berufen nachgehen. Manfreds persönliche Vorliebe ist die Fotografie. Es verwundert daher nicht, dass seine Galerie vor allem Berliner Fotografen betreut und ausstellt. Wenige Galerien in Berlin widmen sich der zeitgenössischen Fotografie in Berlin. Noch weniger der historischen Stadtfotografie Berlins und seiner Umgebung. Umso erfreulicher, dass Manfred uns die Phänomene dieser Stadt alle zwei Monate immer wieder von Neuem präsentiert. Das Highlight des vierjährigen Galeriebestehens ist denn auch die derzeitige Ausstellungsreihe „Berlin Photography”: Junge Fotografen zeigen, was sie von ihren Streifzügen durch Berlin mitgebracht haben.

Berlin macht es einem nicht leicht, aber irgendwann findet jeder seine Bestimmung. Wir sind gespannt auf viele weitere Ausstellungen. Alles Gute zum Geburtstag, Manfred!

 Carpentier Galerie, Meinekestraße 12, Berlin-Wilmersdorf, Di-Fr 16-18

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Lifestyle

„Ein riesiger, heiliger Ort“

Märchen, Sehnsüchte und ein altes Grandhotel: Friedrich Liechtenstein präsentiert abseits von Berlin sein neues Album.

Eben noch tanzte er sich durch Supermarktregale und die Straßen von Berlin Mitte. Der Hype um einen Edeka-Werbespot hatte Friedrich Liechtenstein Mitte Februar zu „Mr. Supergeil“ gemacht. Die Journalisten besuchten ihn in seiner Eremitage in der Linienstraße. Die Leute kamen auf der Straße an und sagten: „Sag mal supergeil“ und wollten ein Selfie mit ihm. Dass Liechtenstein jedoch kein Typ mit einem einzigen Werbespruch ist, beweist er nun mit seinem neuen Album. Es ist nach einem Ort im Nationalpark Hohe Tauern im Salzburger Land benannt: Bad Gastein.

Einst erholten sich hier Kaiser Wilhelm II., Göring, Freud, Liza Minnelli und andere illustre Gäste. Vom damaligen Glamour zeugen heute nur noch die Ruinen der Grandhotels. Junge Hoteliers versuchen dem Ort ein neues, hippes Image zu geben. Bad Gastein ist ein sonderbares Stück vom alten Europa. Aus der Zeit gefallen. Vor genau dieser Kulisse aus Verfall und Revival stellt Liechtenstein seine CD vor. Für seinen Auftritt wählt er einen besonderen Ort: das Foyer des alten Grandhotels. Wie im Film Grand Budapest Hotel fallen die Stockwerke tief in die Schlucht hinab. Ein Relikt des einstigen Weltkurortes.

Der Rest des alten Ortszentrums liegt verlassen da. Vom großen Fenster des Foyers blickt man auf die Hotelruinen und den Wasserfall. Die Folie für Liechtensteins Märchen. „Wenn man sich ansieht, welche Pracht, welche Dimensionen das Grandhotel hat, kann man sich einfach nicht vorstellen, wie es in unserer Zeit gelingen soll, das wieder mit Energie zu füllen. Das ist wahrscheinlich gar nicht möglich.“ Liechtensteins Konzert beweist das Gegenteil. Die Leute reisen für die Vorstellung extra aus Berlin, Hamburg, Wien an. Gespannt lauschen sie seinen Erzählungen über Liebesschmerz, Hirsche und die Sehnsüchte eines alten Mannes.

Das alte Grandhotel in Bad Gastein

Das alte Grandhotel in Bad Gastein

Seine derzeitige Bekanntheit will Liechtenstein für den Ort nutzen und Leute nach Bad Gastein locken. Mit schönen Events und Konzerten. „Es ist leider nur ein bisschen weit weg von Berlin.“ Dennoch: Hippe Retro-Hotels wie „Das Regina“ oder „Miramonte“ haben schon jetzt ihre Stammkundschaft aus Berlin und Hamburg, die immer wieder zurückkehrt. Erst vor Kurzem wurde auf der Berliner Dachterrasse der Brillenmarke ic!berlin die neue Ausgabe des offiziellen Bad Gastein-Magazins gelauncht. Und wer schmückt das Cover? Natürlich Liechtenstein. Für Bad Gastein kann sich der Entertainer vieles vorstellen. Künstler sollen den Ort neu beleben, coole Bars, schicke Leute sollen hierher kommen. „Mit dem Leerstand explodieren auch die Möglichkeiten, die Fantasien. Man könnte ein Hotel kaufen, dafür sorgen, dass es cool wird und dann wieder verkaufen.“ Am nötigen Größenwahn mangelt es Liechtenstein jedenfalls nicht.

bad gastein friedrich liechtenstein

Der alte Herr stilsicher im Bademantel.

http://heavylistening.de/liechtenstein/

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Kolumne

Der Berliner rennt überall hin…

neue nationalgalerie 2 klein

Über der Neuen Nationalgalerie steigen Lichtpolypen auf und die Massen strömen hin. Warum der Berliner jedes Event mitmacht – egal welches.

Es ist Samstag. Es ist Sommer. Traumtemperaturen und ärmelfreies Kleidchen auch noch am Abend, so kennt man es vor allem aus dem Italien-Urlaub. Aber manchmal ist eben auch in Berlin richtiger Sommer. Wie an diesem Samstag. Und was macht der Berliner? Er hat gehört, dass heute Abend der Nachthimmel bespielt werden soll. Ein „Sky Art Event“. Wenn der Berliner „Event“ hört, wird er neugierig. Er wittert die Chance, Teil einer besonderen, unwiederbringlichen Begebenheit zu werden. Wenn er noch dazu hört, dass der Eintritt frei ist, dann fällt ihm kein Argument mehr ein, nicht hinzugehen. Ja, er ist geradezu freudig erregt: Es wird etwas geboten in der Stadt und auch er ist eingeladen. Zwar gibt es Open-Air-Großereignisse wie Gallery Weekend oder Festival of Lights, aber Kunst-Spektakel sind in Berlin doch eher selten. Umso größer ist der Andrang, wenn mal etwas passiert. Tausende Schaulustige umrunden die Neue Nationalgalerie, kampieren auf Boden und Stufen, pilgern die Potsdamer Straße rauf und runter. Man staunt schon, wie viele Leute gekommen sind, um drei mit Luft aufgeblasene Sterne zu sehen, die sich auf dem Dach der Neuen Nationalgalerie heben und senken. Aber es sind ja auch nicht irgendwelche Sterne. Der kurz vor dem Event verstorbene Künstler Otto Piene hat sie erdacht. Wie die Tentakelarme eines Wasserpolypen räkeln sich die Lichtskulpturen in den Berliner Nachthimmel. Was an diesem Abend wieder mal auffällt: Die Menschenmenge berauscht sich hauptsächlich an sich selbst. Das Kunstwerk wird zur Kulisse für das kollektive Herumstehen der Gruppen. Das ist die positive Seite der Masse: Sie stiftet eine Art Freude und Zusammengehörigkeit. Der Einzelne wird Teil des Großereignisses, der Einsame ist unter Leuten.

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Lifestyle

Sauft nicht unseren Champagner!

Ein Schweizer Start-up-Unternehmen hatte kürzlich eine App erfunden, die Promis bei großen Veranstaltungen vor ungeladenen Partygängern schützt. „Zkipster“ heißt der Spaßverderber für die einen und Exklusivitätsgarant für die anderen. Die App kann symbolisch für die ganze Schweiz gelesen werden: sie möchte unter sich bleiben. Die Botschaft ist klar: Keine ungebetenen Gäste, bitte, die unseren Champagner wegsaufen. Start-up-Unternehmer aus Berlin hätten dagegen eher eine App erfunden, mit der man Promipartys leichter ausfindig machen und sich noch effektiver dazu schleichen kann. In Berlin nimmt man Exklusivität ja nicht so ernst. Alle sollen Spaß haben dürfen. Was zum Beispiel in Hamburg, München oder Zürich undenkbar erscheint, ist in Berlin oft möglich: sich ohne Einladung auf eine Party zu schmuggeln.

 

 

 

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Stil

Adam und Steve

Viktor und Rolf

Sind zwar kein Paar, sehen aber so aus: Die Designer Viktor & Rolf

Warum schwule Partner im gleichen Look auftreten.

Neulich beim Essen mit meinem befreundeten schwulen Ehepaar in Berlin Mitte. Adam mit rosa kariertem Hemd und schwarzem Blazer, dazu schwarz geränderte Mitte-Nerd-Brille. Sein fünfzehn Jahre jüngerer Gatte Steve unterscheidet sich von ihm nur durch ein weißes, statt einem schwarz gepunkteten Einstecktuch: Tom Ford. Wie auch die Brille. Mein Kompliment, toller Auftritt! “Ja, wir waren neulich im Quartier 206 bei unserem Paolo. Der steckte uns die Tücher einfach hier so rein. Wir waren total hilflos.“ Steve steckt einen Finger in den Mund und setzt den Lolita-Blick auf. Großes Gelächter, verständnisvoller Blick meinerseits. Ihr Armen! Adam und Steve sind jetzt schon seit drei Jahren verheiratet, die französische Bulldogge Céline ist ihr Kind. Wenn ich nicht wüsste, dass sie ein Paar sind, ich hielte sie für Brüder, denen Mutti aus pragmatischen Erwägungen die gleichen Sachen kauft. Nein, sie sehen nur wie Brüder aus. Ein Phänomen, das man öfters in Berlin beobachten kann. Zwei Lederschwule in der Motzstraße, zwei Händchen haltende Yves-Saint-Laurent-Kopien in der Friedrichstraße, zwei rauchende Cowboys im KitKatClub. Die Adams und Steves dieser Stadt.

Ein besseres Statement, um zu zeigen, dass man zusammengehört, gibt es nicht. Der Partnerlook gibt jedem unmissverständlich zu verstehen, dass man neben dem Bett auch noch den Kleiderschrank teilt. Sie geben damit ein Signal an die Öffentlichkeit. Schaut mal, wir sind wirklich ein Herz und eine Seele. Wir sind eins. Eine sehr romantische Vorstellung. Und Schwule sind ja bekanntlich große Romantiker. Verfechter einer heilen Welt, in der Opern und Torten und Diven und Hunde vorkommen. Bekannte schwule Künstler und Designer leben den Partnerlook vor. Viktor und Rolf zum Beispiel. Die sehen aus wie Zwillinge. Ziehen immer das Gleiche an. Sie wollen natürlich, dass dieser Eindruck entsteht. Penibel achten sie darauf, dass ihre Accessoires genau aufeinander abgestimmt sind. Heute ist das ihr Markenzeichen. Sie sind kein Paar und inszenieren sich doch als solches. Oder Elton John und sein Ehemann David Furnish, die gerne mal zusammen mit gleicher Spaßbrille auf Veranstaltungen auftauchen. Die Inszenierung funktioniert. Zwillinge sind immer ein Hingucker.

 

 

 

 

 

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