Stil

Die Wildnis ist, wo Du bist.

Alle lieben den Parka. Das war schon 1968 so. Was einst jedoch Linken-Demo-Schlabberlook war, ist heute Lieblingsjacke der Großstadt-Hipster. Und auch der schwarze Afghan fehlt.

Letztens war ich im Crackers in der Friedrichstraße essen. Verblüfft stellte ich fest, dass viele der hippen, jungen Gäste ihre Jacke sogar am Tisch noch anhatten. Und es war eine ganz bestimmte Jacke. Wo man auch hinblickte, überall grüne Parkas mit üppigem Fellkranz an der Kapuze. In Berlin, wo immer seltener zwischen feinen Anlässen und Freizeit bei der Kleiderwahl unterschieden wird, ist der Parka auch praktisch überall anzutreffen: bei der Vernissage, in der Bar, im Park, im edlen Restaurant. Manche lieben ihren Parka so sehr, dass sie ihn gar nicht mehr ausziehen. Vielleicht wollen sie auch einfach nur für den nächsten Berliner Schneesturm gewappnet sein. Er hält nicht nur warm, er plustert auch schüchterne Charaktere auf. Der Parka hält nicht nur rauen Berliner Wind ordentlich ab, er ist gleichzeitig ein wohliger Panzer der Coolness gegen die Widrigkeiten der manchmal nicht ganz so schönen Großstadt mit ihren „wilden Tieren“, abgefuckten Plätzen und obszönen Blicken. Fast schon eine Winteruniform für alle bemützten Hipster und schicken Bloggerinnen, die im Oversize-Parka ihr Dasein als „Stil-Ranger“ der Großstadt perfekt widergespiegelt sehen. Den lässigen Big-Size-Look haben sie sich von Rappern à la The Game oder Kanye West abgeguckt, die den Parka mit flauschigem Tierpelz lieben.

Was dem Berliner und Hamburger Hipster-Kreativen-Volk heute ihre Oversize-Statement-Jacke ist, war der aufgebrachten 68er-Generation ihr Schlabber-Parka. Aber es war für sie nicht einfach nur irgendein trendiger Look. Das, was erst nur robuste Einsatzkleidung von Soldaten war, wurde damals zur neuen Uniform der Protestierenden und Studentenbewegungen. Die 68er griffen den Parka als Militär-Element auf und pazifizierten es, indem sie es mit ihren schulterlangen Haaren kombinierten. Manche nähten Peace-Zeichen auf, politisch Aktivere auch Mao-Zedong-Konterfeis. Bei biederen Leuten suchte man den Parka vergeblich, auch war er hauptsächlich ein Männer-Teil. Er signalisierte unmissverständlich die Zugehörigkeit zur Gruppe der Eltern, Spießer und Autoritäten verachtenden Jugend. Die weiten Taschen der Parkas hatten eine praktische Funktion bei Demos und Gelagen. Ältere Freunde, die die 68er im rebellischen Alter von 18 Jahren erlebt haben, erzählen: Die Grundausstattung war eine Zigarettendrehmaschine, ein Feuerzeug und ein bisschen schwarzer Afghan.

 

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